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Vier Personen diskutieren an Stehtischen. Im Vordergrund ist ein Teil des Publikums von hinten zu sehen.
Kilian Baumann, Christine Bühler und Priska Wismer-Felder diskutieren mit Ursula Hürzeler (v.l.n.r.) über Agrar- und Ernährungspolitik. Bild: © FUG / Manu Friedrich

Von der Agrar- zur Ernährungspolitik

Die landwirtschaftliche Produktion wäre in der Schweiz ohne staatliche Unterstützungsmassnahmen kaum konkurrenzfähig. Drei Landwirt:innen thematisieren den Nutzen und die Kehrseite von Massnahmen und wünschen sich, dass bei Nachhaltigkeitsforderungen nicht nur die Produktionsseite in die Pflicht genommen wird.

Von Sarah Beyeler

Drei Landwirt:innen, die Praxis und Politik verbinden, diskutieren über die landwirtschaftliche Produktion. Die Berner Mitte-Grossrätin Christine Bühler, Nationalrätin Priska Wismer-Felder (Die Mitte) und Nationalrat Kilian Baumann(Grüne Partei) thematisieren die Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert sind und den Einfluss der (Agrar-)Politik auf unser Ernährungssystem.

70 Prozent unserer Fläche sind Grünflächen. Da können wir keine Erbsen anbauen, selbst wenn wir wollten.

Wachsende Entfremdung

Priska Wismer-Felder beschäftigt die wachsende Entfremdung der Bevölkerung von der landwirtschaftlichen Produktion: «Viele Zusammenhänge, die früher selbstverständlich waren, müssen heute erklärt werden.» Zum Beispiel, dass es nicht ohne Wiederkäuer gehe, trotz der schlechten Klimabilanz von Milch- und Fleischprodukten, «denn 70 Prozent unserer Fläche sind Grünflächen. Da können wir keine Erbsen anbauen, selbst wenn wir wollten». Die vielen Flächen an steiler oder anderweitig für Ackerbau ungünstigen Lagen können durch die Rinder genutzt und dadurch in Nahrung für die Menschen umgewandelt werden. Wismer-Felder wünscht sich, dass mehr in die Aufklärung und Bildung investiert wird, auch weil das Verständnis für den Wert der Nahrungsmittel und für die Saisonalität von Obst und Gemüse heute bei den Konsument:innen vielfach fehle.
In anderen Bereichen hingegen wird längst massiv in unser Ernährungssystem eingegriffen – und nicht immer im Sinne einer nachhaltigen Ernährung.

Zollschranken, Direktzahlungen und Verbote

Den grössten Einfluss hätten staatliche Rahmenbedingungen wie Zollschranken und Direktzahlungen. «Ohne diese Instrumente gäbe es in der Schweiz keine Lebensmittelproduktion», betont Kilian Baumann. Am Beispiel Schweinefleisch veranschaulicht er die verschiedenen staatlichen Hebel: Die Schweineställe dürften auf der grünen Wiese gebaut werden, wo man sonst nicht bauen dürfe, «das ist ein Privileg». Weiter habe Futtergetreide einen viel tieferen Zollsatz als etwa Brotgetreide. Nur dank solcher Massnahmen könne die hiesige Schweinefleischproduktion vor der internationalen Konkurrenz bestehen, so Baumann.

Mit dem Verbot von Tiermehl auch für Schweine und Geflügel schiesst man über das Ziel hinaus.

Doch manchmal gingen Massnahmen auch zu weit, zeigt Bühler am Beispiel des Verbots von Tiermehl in der Schweiz. In den 1990er Jahren habe man dem Nutztierfutter Tiermehl beigemischt; auch dem Futter für Kühe und Rinder. Verseuchtes Tiermehl führte dann zur BSE-Krise und schliesslich zum Verbot von Tiermehl in der Schweiz. In Bezug auf Wiederkäuer sei dies zu Recht geschehen, betont Bühler, denn sie seien Vegetarier. Dass das Verbot aber auch für allesfressende Nutztiere wie Schweine und Geflügel gelte, «damit schiesst man über das Ziel hinaus». Es sei eine grosse Verschwendung, dass das Tiermehl zwar noch hergestellt, dann aber exportiert werde. Auf dem Podium ist man sich einig, dass diese hochwertige Proteinquelle zur Fütterung von Schweinen und Geflügel erlaubt sein müsse, denn dadurch könne teilweise der Import von Futtermitteln wie Soja ersetzt werden.

Wir haben viel zu lange nur Agrarpolitik gemacht. Es braucht aber eine Ernährungspolitik, die alle in die Pflicht nimmt.

Nachhaltigkeit braucht Zeit und Geduld

Priska Wismer-Felder ist nicht einverstanden mit dem oft gehörten Vorwurf, die Bauern seien gegen den Wandel. Langfristige Veränderungen seien mit den Direktzahlungen bereits angestossen: «Die Zahlungen gehen weg von der Tierhaltung, hin zum Pflanzenbau und zur Ökologie.» Doch selbst langsame Veränderungen funktionierten nicht, wenn nur bei der Produktion angesetzt werde. Auch die Nachfrage müsse sich verändern, sonst verliere das ganze System, betont sie. «Es braucht eine Garantie, dass es für neue Produkte einen Absatz gibt. Ich kann Ihnen versichern, wenn die Bauernfamilien ihre Erzeugnisse absetzen können, werden sie die Produktion anpassen», ist Christine Bühler überzeugt. Doch die Umstellung auf eine neue Produktion verlange viele Investitionen und viel Herzblut – und passiere nicht von heute auf morgen, ergänzt Wismer-Felder, selbst wenn die Wertschöpfungskette stimme. Denn viele Bäuerinnen und Bauern hätten bereits viel in frühere Massnahmen investiert, und diese Investitionen müssten zuerst amortisiert werden.
Schlussendlich seien wir alle zum Handeln aufgefordert, unterstreicht Kilian Baumann: «Wir haben viel zu lange nur Agrarpolitik gemacht.» Es brauche aber eine Ernährungspolitik, die alle in die Pflicht nehme – nicht nur die Landwirt:innen in der Produktion.

ZUR AUTORIN

Sarah Beyeler arbeitet am Forum für Universität und Gesellschaft

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