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«Die zukünftige Vision von Kirche-Sein muss tatsächlich nicht nur eine Kirche, sondern alle unsere Kirchen umfassen», betonte Prof. Dr. Angela Berlis. Bild: © FUG / Stefan Wermuth

Zukunftsvision einer Minderheitskirche 

«War da noch wer? Aber ja, die Christkatholiken. Sie gehen in der Diskussion um Kirche im Heute-Sein leicht vergessen.» Prof. Dr. Angela Berlis vom Institut für Christkatholische Theologie der Universität Bern nahm dieses Zitat von Alt-Bischof Fritz-René Müller als Ausgangspunkt für ihre Überlegungen zur Zukunft der christkatholischen Kirche in der Schweiz.

Von Sarah Beyeler

Als der Papst unfehlbar wurde

Müller habe gefordert, die Zukunft zu gestalten und vorwärts zu schauen. Der Zukunft widmete auch Berlis einen Teil ihrer Ausführungen, doch zuerst blickte sie zurück zu den Anfängen der Christkatholischen Kirche der Schweiz.Im Ersten Vatikanischen Konzil 1870 liess sich Papst Pius IX für unfehlbar erklären. Diese Machtdemonstration sei vor allem bei liberal gesinnten Katholikinnen und Katholiken auf Widerstand gestossen. «In der Argumentation gegen die Stellung des Papstes spielten sowohl staatsbürgerlich-politische als auch kirchlich-religiöse Argumente eine wichtige Rolle.» Als eine Folge dieser Auseinandersetzungen sei 1871 der schweizerische Verein freisinniger Katholiken entstanden. Dieser habe eine katholische Kirche propagiert, die nicht der päpstlichen Rechtsprechung unterstehe, von einem Bischof geleitet werde und synodal organisiert sei. «Das christkatholische Ideal von Kirche-Sein war damals noch stark aus der Abgrenzung gegen das römische, als zentralistisch erfahrene System formuliert worden. Diese Abgrenzung hat die christkatholische Kirche lange Zeit geprägt», so Berlis. Noch bis vor wenigen Jahrzehnten sei als populäre christkatholische Selbstbeschreibung zu hören gewesen, «wir haben keinen Papst, wir haben keine Maria, wir haben keine Heiligen…». Diese negative Identität sei inzwischen Vergangenheit, betonte die Theologin. Viele Menschen in der heutigen Gesellschaft würden solche feinen Unterschiede gar nicht mehr kennen und auf Liturgie, Spiritualität oder diakonische Aktivität schauen.

Die christkatholische Kirche als Minderheitskirche und dritte Landeskirche

Die Mitgliederzahlen verdeutlichten, dass die christkatholische Kirche seit ihren Anfängen eine Minderheitskirche war. Ihre Zahl sank von 46'000 im Jahr 1877 auf aktuell ungefähr 12'000 Kirchenangehörige. «Die Kleinheit der christkatholischen Kirche bringt mit sich, dass Christkatholiken oft erklären müssen, wofür das Christkatholische steht.» 

Doch ungeachtet ihres Minderheitenstatus’ habe sich die christkatholische Kirche bereits im 19. Jahrhundert als Volkskirche und als dritte Landeskirche etablieren können. «Dies gesellschaftspolitische Bedeutung der altkatholischen Bewegung im Kulturkampf und die Konzentration auf bestimmte Regionen machte dies möglich.» Die Anerkennung als Landeskirche sei für die christkatholische Kirche sehr wichtig, betonte Angela Berlis. «Historisch gesehen bedeutete dieser Status den Schutz durch den Staat im 19. Jahrhundert und die Möglichkeit, sich selbst zu organisieren als Katholiken, die nicht in Übereinstimmung mit dem Papst katholisch sein wollten.» Er habe weiter ermöglicht, sich neben der viel grösseren römisch-katholischen Kirche zu etablieren und sich gegen die Einordnung als Sekte zu wehren: «Der Status als Landeskirche bedeutet auch Anerkennung nicht nur seitens des Staats, sondern auch in der weiteren Gesellschaft. Wir werden oft gefragt, ob wir eine Sekte seien. Dann ist der Status hilfreich, um zu sagen, nein, wir sind keine Sekte.»

Prozess der Selbstvergewisserung

«Die christkatholische Kirche hat ihren Mitgliedern nie Vorschriften zur Wahl der Konfession bei einer Heirat oder bei der Taufe von Kindern gemacht.» So hätten beispielsweise Kirchenmitglieder ihre Kinder oft nicht christkatholisch taufen lassen, wenn sie in einem nicht-christkatholischen Umfeld wohnten. Weiter seien konfessionelle Grenzen und Unterscheidungen im Zeitalter der Ökumene weniger wichtig geworden. «Man könnte vorsichtig sagen, dass die christkatholische Kirche hier Opfer ihres eigenen Erfolges wurde – der Liberalität und der ökumenischen Offenheit», folgerte Berlis. Hinzu komme, dass der Gedanke von Evangelisierung und Mission der bürgerlich und freisinnig geprägten Kirche stets fremd geblieben sei. 
Die Veränderung der religiösen Landschaft und die Fragen nach dem Verhältnis zwischen Kirchen und Gesellschaft führten aber unweigerlich zu Veränderungen im Innern der Kirchen. «Es ist eindeutig, dass sich die christkatholische Kirche derzeit in einem Prozess der Selbstvergewisserung befindet.» Viele hätten sich im 19. Jahrhundert aus einem politischen Bewusstsein heraus dem Christkatholizismus angeschlossen und im 20. Jahrhundert hätten sich viele Christkatholikinnen für das Frauenstimmrecht engagiert. Dieses politische Verantwortungsbewusstsein sei heute Erbe und bleibende Verantwortung – «auch in einer kleiner gewordenen Kirche», betonte Angela Berlis. Daraus resultiere das Bewusstsein, dass die Kirchen – unabhängig von ihrer zahlenmässigen Grösse – als gestaltende und meinungsbildende Kräfte in der Gesellschaft ihren Platz hätten und dass die Gesellschaft Raum für verschiedene Religionsgemeinschaften bieten müsse.

Zukunftsvisionen ohne Vergangenheitsbeschwörung

«Wir wissen heute, dass die Säkularisierungstheorie nicht in der gleichen Weise eintrifft und zutrifft, wie noch vor wenigen Jahrzehnten angenommen wurde.» Kirchen und Religionsgemeinschaften fänden Wege, sich neu zu positionieren und zu erfinden. Dafür seien Kenntnis der eigenen Geschichte und Tradition essentiell. Das bedeute keine Vergangenheitsbeschwörung, sondern dasjenige mitzunehmen, «was uns aus der Vergangenheit und der Tradition wertvoll ist». Dazu gehöre auch das Wissen um die Freiheit als Christenmenschen, die es immer wieder neu zu lernen gelte, nicht als "Freiheit von" sondern als "Freiheit zu" (… etwa zu Verantwortung). Dass die christkatholische Kirche ihre Erfahrung als kleine Kirche in das Nachdenken über Zukunft einbringen könne, davon war Angela Berlis überzeugt: «Wir wissen, was es heisst, eine Minderheit zu sein, wir wissen auch, was es heisst, Ängste um die Zukunft zu haben.» Dieses Wissen wolle die christkatholische Kirche einbringen in die Zukunftsvision von Kirche-Sein. «Die zukünftige Vision von Kirche-Sein muss tatsächlich nicht nur eine Kirche, sondern alle unsere Kirchen umfassen.»