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Das Publikum sitzt dicht beieinander in mehreren Reihen und hört aufmerksam zu. Die meisten Personen tragen Namensschilder, die Stimmung ist konzentriert.
Volle Publikumsränge im Casino Theater Burgdorf zeugen vom Interesse der Bevölkerung am Thema «mentale Gesundheit». Alle Bilder: © FUG / Stefan Wermuth

Mentale Gesundheit im Lebensverlauf: Versorgungslücken und Handlungsansätze

Die Veranstaltung des Forums für Universität und Gesellschaft im Casino Theater Burgdorf zeigt, dass ein ganzheitlicher Blick auf die mentale Gesundheit nötig ist. Berücksichtigt werden müssen unterschiedliche Lebensphasen, familiäre und soziale Kontexte – und die strukturellen Bedingungen, die psychisches Leiden begünstigen oder lindern können.

Von Sarah Beyeler

Mentale Gesundheit im jungen und im hohen Alter: Auf der einen Seite die Überforderung eines Systems, das mit steigenden Fallzahlen ringt, auf der anderen die Forderung nach einer radikalen Wende im Umgang mit psychischer Gesundheit im Alter. Die medizinischen, gesellschaftlichen und strukturellen Herausforderungen sind teils erheblich – und oftmals ungelöst.

Eine Frau steht an einem Rednerpult auf einer Bühne und spricht. Hinter ihr ist eine große Leinwand zu sehen, auf der eine Präsentationsfolie projiziert wird.
«Die besten Behandlungserfolge erzielen wir, wenn wir ins familiäre Umfeld gehen», sagt Karin Rengel-Meier vom regionalen Kompetenzzentrum der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. © FUG / Stefan Wermuth

Kinder- und Jugendpsychiatrie: Engpässe in der Versorgung

Karin Rengel-Meier vom regionalen Kompetenzzentrum der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie zeichnet ein differenziertes Bild psychischer Belastungen junger Menschen. Besonders alarmierend ist der schulische Leistungsdruck, den Jugendliche – insbesondere junge Frauen – als konstanten Stressfaktor erleben. Die digitale Welt ist dabei Fluch und Segen zugleich: Sie bietet zwar sozialen Anschluss, verstärkt aber auch Vergleichsdruck und Einsamkeit.

Die besten Behandlungserfolge erzielen wir, wenn wir ins familiäre Umfeld gehen

Ein beunruhigender Trend: Trotz steigender Nachfrage bleibt das Versorgungsnetz oft lückenhaft. Lange Wartezeiten, fehlende Therapieplätze und überlastete Strukturen erschweren den Zugang zu Hilfe. Hoffnung machen neue Ansätze wie aufsuchende Kriseninterventionen und die geplante Tagesklinik in Burgdorf. Erfolgsversprechend zeigt sich vor allem die systemische Einbindung der Familie: «Die besten Behandlungserfolge erzielen wir, wenn wir ins familiäre Umfeld gehen», sagt Rengel-Meier.

Ein Mann steht an einem Rednerpult und spricht gestikulierend mit erhobenen Händen. Vor ihm befinden sich ein Laptop und eine Wasserflasche. Auf dem Rednerpult ist ein Schild mit dem Namen „Markus Guzek“ sowie das Logo des Forums für Universität und Gesellschaft angebracht. Der Hintergrund ist dunkel, der Fokus liegt auf dem Sprecher.
«Psychische Erkrankungen im Alter sind nicht Schicksal, sondern behandelbar», betont der Alterspsychiater Dr. med. Markus Guzek vom Spital Emmental. © FUG / Stefan Wermuth

Psychische Krankheiten im Alter: häufig, folgenreich, vernachlässigt

Doch auch das hohe Alter ist keine Garantie für psychisches Wohlergehen. Im Gegenteil: Dr. med. Markus Guzek, Chefarzt Alterspsychiatrie im Spital Emmental, warnt eindringlich vor einer verdrängten Krise. Depressionen, Demenzen und Delirien – die «3D» der Alterspsychiatrie – sind vielfach unbehandelt und entsprechen dem Bild des alternden Menschen, der still leidet und keine Hilfe sucht. «Gesellschaftlich akzeptieren wir das Leid der Alten zu oft als gegeben», kritisiert Guzek und spricht von struktureller Vernachlässigung: Viele ältere Menschen erhalten schlicht keinen Zugang zu angemessener psychiatrischer Versorgung.

«Gesellschaftlich akzeptieren wir das Leid der Alten zu oft als gegeben»

Er fordert wohnortsnahe Ambulatorien, mobile Dienste und ein politisches Umdenken, denn psychische Erkrankungen im Alter sind behandelbar, aber nur, wenn man sie als solche anerkennt.

 

Ein junger Mann steht an einem Rednerpult und spricht. Er trägt ein blau-weiß gestreiftes Hemd und gestikuliert mit den Händen. Auf dem Pult steht eine Wasserflasche und ein Laptop. Ein Namensschild mit der Aufschrift „Andrej Skoko“ ist gut sichtbar.
«Einsamkeit ist sozialer Durst – ein Signal, dass unser Bedürfnis nach Zugehörigkeit nicht gestillt ist», sagt Dr. Andrej Skoko vom Institut für Psychologie der Universität Bern. © FUG / Stefan Wermuth

Einsamkeit – ein unterschätzter Risikofaktor

«Einsamkeit betrifft Menschen in allen Lebensphasen», betont der Psychologe Dr. Andrej Skoko von der Universität Bern. Einsamkeit ist kein individuelles Scheitern, sondern ein sozialer Schmerz mit gesellschaftlicher Dimension. Wer sich nicht zugehörig fühlt, sondern erhöht sein Risiko für Depression, Angst und sogar Demenz.

«Psychotherapeutische Begleitung – besonders kognitive Verhaltenstherapie – ist einer der wirksamsten Ansätze im Umgang mit Einsamkeit.»

Einsamkeit sei ein evolutionäres Warnsignal – doch in der heutigen Gesellschaft bleibt der Weg aus der Isolation oft versperrt. Besonders gefährlich: der Teufelskreis aus Zurückweisung, Rückzug und negativen Selbstbildern. Um diesem zu entkommen, braucht es gezielte Interventionen, etwa in Form kognitiver Verhaltenstherapie. Aber auch niedrigschwellige Angebote wie Begegnungsräume können helfen, soziale Bindungen wieder aufzubauen.


 

ZUR AUTORIN

Dr. Sarah Beyeler arbeitet am Forum für Universität und Gesellschaft

Zur Veranstaltung

Ein Kopf mit einem Gewitter symbolisiert die psychische / mentale Gesundheit.
© iStock

Sämtliche Unterlagen und Aufzeichnungen zur Veranstaltung «Leistungsdruck und Einsamkeit: mentale Gesundheit im Lebensverlauf» finden Sie hier.