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Aufnahme der Referentin Prof. Dr. Sabine Rohrmann. Sie ist im Gespräch mit der Moderatorin Ursula Hürzeler, die man von hinten sieht.
«Die Schweizer:innen ernähren sich im Allgemeinen ungesund», stellt Prof. Dr. Sabine Rohrmann fest. Bild: © FUG/Stefan Wermuth

Wie ernähren wir uns wirklich?

Die Ernährungspyramide ist in der Schweiz etwas aus der Form geraten. Warum das so ist, erklärt die Ernährungswissenschaftlerin Sabine Rohrmann und zeigt, wie sich das Essverhalten zwischen den Sprachregionen in der Schweiz unterscheidet. Am Schluss bleibt die Frage, warum wir uns wider besseren Wissens nicht gesünder ernähren.

Von Sarah Beyeler

«Die Schweizer:innen ernähren sich im Allgemeinen ungesund, es wird zu viel Zucker konsumiert und der Verbrauch an Früchten und Gemüse ist zu tief im Vergleich mit den Empfehlungen.» Prof. Dr. Sabine Rohrmann von der Universität Zürich präsentiert dem Publikum als Einstieg Schlagzeilen zu den Ergebnissen des Ernährungsberichts 2012. Es gebe durchaus auch positive Entwicklungen in der Schweizer Ernährung, fährt sie mit Blick auf die Ernährungspyramide fort, so sei etwa der Verbrauch an pflanzlichen Ölen und Fetten und an Fisch gestiegen.

Die Ernährungspyramide aus der Form

Rückschlüsse auf den Versorgungsgrad einzelner Bevölkerungsgruppen liessen sich aus den Daten des Ernährungsberichts jedoch keine ziehen, so Rohrmann. Das habe sich 2014/15 mit der ersten Schweizer Ernährungserhebung MenuCH geändert, welche das Koch- und Essverhalten der Studienteilnehmer:innen möglichst detailliert erfragte. «Wir Ernährungswissenschaftler:innen sind froh, nun genauer sagen zu können, wie es mit dem Konsum in einzelnen Bevölkerungsgruppen aussieht.»

Die Spitze der Ernährungsyramide ist viermal so gross wie sie eigentlich sein sollte.

Bevor Rohrmann auf einzelne Gruppen und Regionen eingeht, vergleicht sie gesamtschweizerisch die Ernährung mit den Empfehlungen: Einzig die Basis der Pyramide mit den Getränken sei so, wie sie laut Empfehlungen sein sollte, stellt Rohrmann fest. Auf der nächsten Ebene der Früchte und Gemüse sehe es ein bisschen mager aus: «Da werden nur 3 anstelle der empfohlenen 5 Portionen verzehrt». Auch würden zuwenig Getreide, Kartoffeln und Hülsenfrüchte gegessen, dafür mehr Fleisch als empfohlen und – was im Land der Milchseen und Butterberge erstaunen mag – nicht genügend Milchprodukte. Auch die Stufe der Fette und Öle sei nicht im Gleichgewicht, da tendenziell mehr tierische und zu wenig pflanzliche Fette als empfohlen gegessen würden. Ganz aus der Form geraten ist ausgerechnet die kleinste, oberste Ebene: «Die Spitze der Ernährungspyramide ist viermal so gross wie sie eigentlich sein sollte.» Will heissen, dass die Schweizer Bevölkerung zu viele süsse und salzige Snacks und zu viel Alkohol konsumiere.

Ernährungsmuster und regionale Unterschiede

Detailliertere Einblicke in das Ernährungsverhalten hierzulande zeigten sich im Vergleich von Bevölkerungsgruppen und Regionen: Beispielsweise würden in der Deutschschweiz am meisten, in der Romandie dagegen am wenigsten Milchprodukte konsumiert. «Wir sehen hier ganz deutlich, was wir an den Verbrauchszahlen nicht ablesen konnten: Die Schweiz isst nicht einheitlich.» Beim Fleischverzehr zeige sich, dass dieser bei Männern markant höher liege als bei Frauen und dass er mit zunehmendem Alter abnehme. Anders sieht es bei der vegetarischen Ernährung aus: Rund 4.4 Prozent der Befragten konsumierten kein Fleisch, «das sind mehr Frauen und deutlich mehr Personen in der deutschen als in der französisch- und italienischsprachigen Schweiz. Erstaunlicherweise gab es keine Unterschiede zwischen den Altersgruppen», so Rohrmann.
Das Fazit aus der MenuCH-Studie ist durchzogen: «Fast niemand in der Schweizer Bevölkerung hält sich vollständig an die Ernährungsempfehlungen, aber immerhin rund 40 Prozent halten zumindest drei Empfehlungen ein.»
Heute würde die Ernährung jedoch vermehrt als Ganzes beurteilt und weniger auf einzelne Nahrungsgruppen fokussiert. Von Interesse sei, wer welche Nahrungsmittelkombinationen esse; entsprechend liessen sich verschiedene Ernährungsmuster unterscheiden wie beispielsweise das «traditionell schweizerische» Ernährungsmuster. Dieses charakterisiere sich durch einen hohen Verzehr von Milchprodukten und Schokolade. «Dann gibt es zwei eher westliche, eher ungesündere Ernährungsmuster: Das eine ist geprägt durch viele Süssgetränke, das andere durch mehr Alkohol und Fleischprodukte. Und dann haben wir ein gesundes Ernährungsmuster.» Es seien Frauen, ältere Personen und oft diejenigen mit einem höheren Bildungsstand, die sich eher gesünder ernährten. Und es zeige sich deutlich, dass sich Personen aus der französisch- und italienischsprachigen Schweiz gesünder ernährten als Personen in der Deutschschweiz.

«Mit der Umsetzung der Ernährungsempfehlungen hapert es»

«Warum essen wir nicht so, wie uns das eigentlich empfohlen wird?» fragte die Referentin zum Schluss. Zwar kenne ein Grossteil der Schweizer Bevölkerung die Ernährungspyramide und auch die Empfehlung 5 am Tag sei bekannt. Als mögliche Gründe für die mangelnde Umsetzung nennt Rohrmann den höheren Preis von gesundem Essen, Gewohnheiten und Zwänge des Alltags. Und – so ihre Erkenntnis – «gutes Essen und gesunde Ernährung wird nicht gleichgesetzt.» Für sie als Ernährungswissenschaftlerin laute deshalb die spannende Forschungsfrage in den nächsten Jahren, wie man Ernährungsempfehlungen und tatsächliche Ernährung zusammenbringe und davon überzeugen könne, «dass eine gesunde Ernährung auch gutes Essen ist».

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Sarah Beyeler arbeitet am Forum für Universität und Gesellschaft

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