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Qualitätsmedien vor dem Ende?

Der Journalismus steckt in der Krise. Journalistische Arbeitsprinzipien würden mehr und mehr von Propaganda-Prinzipien verdrängt, meint Roger de Weck. Er ist überzeugt, dass die erkenntnisorientierte demokratische Auseinandersetzung der Unterstützung durch eine entsprechende Medienpolitik bedarf. Drei Beispiele von verschiedenen Medienunternehmen zeigen konkrete Strategien im Umgang mit der Krise.

Von Marcus Moser und Sarah Beyeler

«Wir leben in einer Zeit, in der Lügen, Verdrehungen und Fake News überhandnehmen. Gleichzeitig gibt es starke Kräfte, die jene Medien, die um die Wahrheit bemüht sind, unter Druck setzen.» Roger de Weck, langjähriger Chefredaktor, ehemaliger Generaldirektor der SRG, Buchautor und Lehrbeauftragter kam gradlinig und im rhetorischen Gewand zur Sache. Unter Druck steht zum Beispiel die öffentlich-rechtliche SRG mit der «No Billag 2»-Initiative. «Da soll ein Medienhaus, das richtig saubere Arbeit leistet, halbiert werden. Ob das die Qualität der schweizerischen Medienlandschaft wirklich stärken würde?»

Gute Information für gute Demokratie

Es brauche gute Information für gute Demokratie – gerade in Zeiten anwachsender Populismen, gab sich de Weck überzeugt. Was aber ist guter Journalismus? De Weck charakterisierte dessen Kernaufgaben, dessen «10 Gebote»: Informationen suchen, prüfen, überprüfen, sortieren, in einen Zusammenhang stellen, gewichten, erklären, vertiefen, gegebenenfalls kommentieren und bei Bedarf ohne Wenn und Aber korrigieren. «Solche Informationsverarbeitung kostet viel Geld, braucht ausreichende Kapazitäten in den Redaktionen und - vor allem - kluge Köpfe.» Aber dieser Journalismus sei in der Krise. Nicht in einer, sondern gleichzeitig in mehreren Krisen, die sich bedingen und zur Demokratiekrise verstärken. Roger de Weck zählte auf: Identitätskrise, ökonomische Krise, politische Krise, Krise der Meinungsbildung - und - daraus eben resultierend: eine Demokratiekrise.

In den Sozialen Medien gibt es nur die Funktion des Kommentierens.

Es gäbe Massenmedien und Soziale Medien. Schaue man aber genauer hin, hätten die Sozialen Medien mit Journalismus wenig zu tun. Es werde kaum recherchiert, nicht geprüft, kaum eingeordnet, schon gar nicht korrigiert. «In den Sozialen Medien gibt es nur die Funktion des Kommentierens.» Die journalistischen Medien stünden heute in Konkurrenz zu Medientypen, die sich nicht an journalistische Prinzipien hielten, betonte de Weck. In einem solchen Umfeld die journalistischen Tugenden hochzuhalten, erfordere Charakterstärke. Und Geld: Kleininserate und Markenwerbung seien ins Internet und auf die Plattformen abgewandert, «die wirtschaftliche Basis - insbesondere des tagesaktuellen Journalismus - ist weitgehend weggebrochen». Kein Wunder also, dass in Redaktionen kaum noch investiert werde.

Frühstück mit Ei und Zeitung ist vorbei

«Die Welt ist komplexer geworden. Aber jene, welche die Komplexität durchdringen sollten, arbeiten unter immer schwereren Rahmenbedingungen.» Gutes Geld könne man heute dagegen mit Propagandamedien verdienen, hier sei die Emotionalisierung oberstes Gebot. Neben anderen erwähnte de Weck Rupert Murdochs «Fox-News»: «Das hat mit Journalismus nichts zu tun. Das ist Propaganda!» Das journalistische Prinzip sei durch ein Propaganda-Prinzip abgelöst worden, was in vielen Ländern, auch in der Schweiz, zu beobachten sei. «Propaganda ist billig, im Wort- und im übertragenen Sinn.»

Algorithmen sind Demokratiezerstörungs-Maschinen

Der Aufstieg von Plattformen wie Google, Apple, Facebook, Amazon (GAFA) hätte zu einer Krise der Meinungsbildung geführt. «Sie alle arbeiten mit Algorithmen, die hochspielen, was emotionalisiert, polarisiert – und die Verweildauer sichert.» Für Roger de Weck sind Algorithmen «Demokratiezerstörungs-Maschinen»; ein wesentlicher Teil des öffentlichen Raums sei durch die Plattformen privatisiert worden. Die Europäische Union ist für de Weck aktuell die einzige Regulierungsmacht, die diesen Praktiken etwas entgegenzusetzen versucht: «Es ist ein Glück, dass die EU mit dem ‹Digital Market Act› und dem ‹Digital Services Act› Regelungspakete erlassen hat, die versuchen Ordnung zu schaffen.»

De Weck gab sich überzeugt, dass vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen, gute Demokratiepolitik auch Medienpolitik sei. «Wenn wir den Niedergang des Journalismus einfach zulassen, beschädigen wir die Demokratie.» Deshalb sei neben dem «Service Public» auch eine öffentliche Finanzierung von privaten Medien nötig. Der Blick nach Schweden zeige, dass dies bei Wahrung jeder Form von Unabhängigkeit möglich sei. Hinzu kämen genossenschaftliche Initiativen, gerade auch für kleinere Medienträger. «Es geht darum, eine möglichst breite Öffentlichkeit informieren zu können». Das geht nur mit motivierten Journalistinnen und Journalisten. Der Dauerdruck auf die Medien hinterliesse Spuren, Journalismus sei unter den heutigen Bedingungen für die heranwachsenden Generationen kein Berufsziel mehr, meinte Roger de Weck. Er ist überzeugt: «Es gehört zur Medienpolitik dazu, hier Gegensteuer zu geben. Das ist eine staatspolitische Erfordernis.»

In der nachfolgenden Medienrunde thematisierten Marina Bolzli (Mitgründerin Hauptstadt), Simon Bärtschi(Chefredaktor Berner Zeitung BZ) und Nathalie Wappler (Direktorin SRF) die Strategien ihrer Medienunternehmen im Umgang mit dem Strukturwandel der Schweizer Medienlandschaft und im Bestreben, mit Qualitätsjournalismus eine ausgewogene und solide Grundlage für die Meinungsbildung des Publikums zu bieten.

Hauptstadt: neuer, lokaler Berner Journalismus

«Wir sind der Versuch eines Qualitätsjournalismus’ ‹von unten›», charakterisierte Marina Bolzli das noch junge Onlinemedium Hauptstadt, welches seit dem Frühling 2022 Inhalte publiziert. Mit der Neuordnung der Medienlandschaft in Bern (Zusammenlegung Bund und BZ) hat sich Platz für neuen Berner Journalismus aufgetan. Rund 20 Journalist:innen nutzten die Möglichkeit mit viel Unternehmergeist: Etwas gegen die schleichende Abnahme der Medienvielfalt tun, anstelle sie zu bejammern, so habe ihr Vorsatz gelautet. Sie hätten keine Ahnung von Geld und Business, aber ganz viele Fragen gehabt und deshalb am Nullpunkt angefangen, erinnerte sich Bolzli.

In einem ersten Schritt entwickelte das Kollektiv im März 2021 seine Leitlinien, sozusagen die DNA des neuen Mediums: Unabhängiger, vielfältiger und kritischer Qualitätsjournalismus von Bern für Bern soll geboten werden, transparent und nicht gewinnorientiert will man sein, stets im Austausch mit den Leser:innen und dem Dialog verpflichtet. Nicht zuletzt will das Journalistenkollektiv auch das digitale Wohlbefinden der Leserschaft fördern.
Nach einem erfolgreichen Crowdfounding ging die Hauptstadt im März 2022 mit drei eigenständigen Kanälen live: Der «Hauptstadt-Brief» versorgt die Abonnent:innen drei Mal wöchentlich mit Nachrichten aus der Stadt Bern, so dass sie gut informiert sind, ohne dauernd online sein und News checken zu müssen (Stichwort digitales Wohlbefinden). Weiter vermittelt die Hauptstadt ihre Inhalte via Website und Social Media.

Wir sind nicht auf Klicks angewiesen, sondern auf den Mehrwert für die lokale Demokratie.

Was macht nun diesen neuen Berner Journalismus aus? «Es ist nicht nur das, was am Schluss aus Text, Ton oder Bild erscheint, sondern auch das Wie und Warum», betonte Bolzli. Es sei wichtig, dass die Hauptstadt gemeinnützig und Leser:innenfinanziert sei. Und man suche auch den analogen Dialog mit den Menschen, etwa mit einem Talkformat, welches im August 2022 startete. «Wir sind nicht auf Klicks angewiesen», betonte Marina Bolzli, «sondern auf den Mehrwert für die lokale Demokratie». Man wolle keine Fronten verhärten, sondern Verbindungen bauen und stelle sich täglich die Frage, wie der Lokaljournalismus aussehen könnte, der den Leser:innen nützt. Um möglichst viele erreichen zu können, auch diejenigen mit wenig finanziellen Mitteln, sei die Bezahlschranke nicht hoch angelegt. Die Zahl der Abonnent:innen steige langsam, aber stetig, und doch sei die «Hauptstadt» bislang noch zu wenig bekannt.
Die Feuertaufe stehe erst noch bevor, nämlich dann, wenn im Frühjahr 2023 die Abonnemente erneuert werden sollten: «Wenn niemand das Abonnement erneuert, dann wird es uns auch nicht mehr geben.»

Redaktion BZ / Bund: Eine starke Lokalredaktion

Die Abonnementerlöse spielten auch bei der Fusion der Redaktionen von Berner Zeitung BZ und Bund eine Rolle: Zwar gebe es einen starken Anstieg bei den digitalen Abonnenten, doch vermöge dieser den Rückgang bei den Printabo-Erlösen nicht zu kompensieren, so Chefredaktor Simon Bärtschi. Hinzu kämen erodierende Werbeumsätze. Diese Ausgangslage habe 2021 zur Zusammenlegung der beiden Redaktionen geführt. Damit sei die grösste und stärkste Lokalredaktion im Kanton Bern, vielleicht sogar im ganzen Land, entstanden, so Bärtschi. Mit dieser Monopolstellung gehe man verantwortungsvoll um, betonte er, auch wenn sie bedeute, dass es in punkto Medienvielfalt weniger Stimmen in Bern gebe. Trotzdem soll aus dem Weniger ein Mehr entstehen: «Wir wollen mehr Erklärung bieten, mehr Hintergrund und mehr Einordnung als zuvor.» Qualität vor Quantität, lautet entsprechend die Strategie des neuen Berner Modells.

Wie wird nun die Leser:innenschaft mit Inhalten versorgt? Die Redaktion bespiele mehrere Kanäle, erklärte Bärtschi. Es gebe die gemeinsame Inhaltserstellung im überregionalen Bereich (Bundeshaus Bern, Inland, Wirtschaft, Ausland) mit dem Tagesanzeiger, der Basler Zeitung und dem Landboten. Der Bund biete mehr Kultur- und Meinungsbeiträge sowie eine erweiterte Ausland-Berichterstattung, die BZ dagegen berichte, wie bereits vor der Fusion, verstärkt über ausgewählte Kantonsteile und Gemeinden. Auch beim Sport biete die BZ eine weiterführende Berichterstattung an als der Bund.

«Das Grundangebot einer kontinuierlichen Berichterstattung erachte ich als zentral für die Meinungsbildung.» Ausgewogene, transparente Inhalte über Milieu- und Gemeindegrenzen hinaus sollen die Vielfalt des Kantons abbilden und das gegenseitige Verständnis sowie die Meinungsbildung fördern. «Gerade im heterogenen Kanton Bern ist ganz wichtig, dass wir versuchen, die städtische Optik und die ländliche Optik miteinander zu verbinden.»

Ich würde sogar so weit gehen und sagen, die neue Messbarkeit im Journalismus führt zu einer besseren Publizistik.

Die Jagd nach Klick-Raten sei kein Thema, stellte Bärtschi klar. Er verbinde damit vor allem das Click-Baiting, d.h. das Ködern des Publikums mit reisserischen Schlagzeilen, hinter denen nichts stecke. Er orte dieses Problem vor allem bei den Werbefinanzierten Portalen, die besonders viel Reichweite erzielen müssten. Beim Bezahl-Publikum hingegen funktioniere dieses Vorgehen nicht. Trotzdem: «Daten sind unsere Freunde», so Bärtschi, «sie gehören heute zum Journalismus und spielen eine grosse Rolle». Denn sie lieferten Messwerte, die helfen würden, besser zu arbeiten und seien somit zentral für die Qualitätssicherung. Man wisse heute ziemlich genau, was das Berner Bezahl-Publikum wolle, und dass es auch lange und aufwändig recherchierte Inhalte honoriere – ganz im Sinne von «Qualität vor Quantität».

SRF: Die Marktführerin setzt auf Bewährtes und Neues

«Wir sind im Fernsehen klarer Marktführer mit fast 42 Prozent Marktanteil zur Primetime.» SRF-Direktorin Nathalie Wappler begann ihren Input mit Erfolgsbilanzen. Auch die Radioprogramme erzielten hohe Reichweiten. «Doch die Zeiten ändern sich auch für uns», thematisierte sie sogleich die Herausforderungen. Denn wie alle Medienhäuser kämpfe auch das SRF mit dem Strukturwandel. Abnehmende Werbeerträge und Gebührenplafonierung machten finanzielle Einsparungen notwendig. Dazu kämen veränderte Nutzerbedürfnisse, mehr Endgeräte, Plattformen und Angebote.
«Erreichen wir all die Menschen in der Schweiz, die uns solidarisch finanzieren?», fragte die Referentin. Die erwähnten Reichweiten erweckten den Anschein, dass dem so wäre. Aber: Rund 27 Prozent der Bevölkerung in der Deutschschweiz nutze SRF gar nicht, die Mehrheit von Ihnen sei unter 45-jährig. «Das muss uns kümmern», so Wappler. Um dem Informationsauftrag gerecht zu werden, sei das lineare Angebot teilweise reduziert und das Angebot für Junge ausgebaut worden – etwa mit dem Auftritt auf TikTok (Zielgruppe 13- bis 17-Jährige) oder dem Instagram-Kanal «We, Myself & Why», der sich an ein weibliches Publikum zwischen 18 und 35 Jahren richtet. Mit den digitalen Angeboten werden die Nutzer:innen auf jenen Kanälen erreicht, wo sie sich bewegen, sei es auf der Online-Plattform von SRF selbst, aber auch bei Drittanbietern wie Youtube, Instagram oder Twitter.

Wir sehen uns als Service Public-Unternehmen in der Verantwortung, auch für Kinder etwas anzubieten.

«Wenn es um eine Gesellschaft und um die Zukunft geht, dürfen Sie nie die Jüngsten vergessen. Wir sehen uns als Service Public-Unternehmen in der Verantwortung, auch für Kinder etwas anzubieten.» Bedingt durch die Veränderung des Medienkonsums auch bei Kindern weg von den traditionell linearen hin zu digitalen Angeboten, lancierte SRF den eigenen YouTube-Kanal SRF Kids.
Um die Menschen aller Generationen und der unterschiedlichsten Interessen wieder zu erreichen, setze SRF auf eine breite Palette an Inhalten; im Informationsbereich etwa auf eine Kombination aus dem Bewährten wie den Nachrichtensendungen und hochwertigen neuen Formaten im Internet. «Wenn wir diesen Wandel nicht machen, dann versäumen wir es, etwas für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu tun.»

Weitere Unterlagen zur Veranstaltungsreihe finden Sie hier.

Zu den Autor:innen

Marcus Moser ist Geschäftsleiter des Forums für Universität und Gesellschaft

Sarah Beyeler arbeitet am Forum für Universität und Gesellschaft