Forum für Universität und Gesellschaft

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Forumspräsidentin Prof. Dr. Virginia Richter begrüsst das Publikum zum regionalen Forumsgespräch «Chance Digitale Transformation» in Thun. Bild: © FUG / Stefan Wermuth

Chance Digitale Transformation

Der digitale Wandel gehört zu den prägendsten Entwicklungen unserer Zeit. Wie kann er in Unternehmen und Städten nutzbringend umgesetzt werden? Dieser Frage ging das Forum für Universität und Gesellschaft am Regionalgespräch auf dem Schlossberg Thun nach.

Von Sarah Beyeler 

Grundsätzlich sei Wandel nichts Neues, doch er passiere in der heutigen Zeit in einer noch nie dagewesenen Geschwindigkeit. Damit nannte Anna-Corinna Kulle vom Institut für Organisation und Personal der Universität Bern gleich zu Beginn eine der grossen Herausforderung der Digitalen Transformation für alle Beteiligten.

Wachsende Städte als Vorbild

«Durch die Digitalisierung steigen die Anforderungen an die Anpassungs- und Veränderungsfähigkeit von Unternehmen.» Die Abkürzung VUCA beschreibe diese Anforderungen, die unter anderem durch die Digitalisierung getrieben werden: Durch die hohe Geschwindigkeit (Volatility), Unsicherheit (Uncertainty), Komplexität (Complexity) und Mehrdeutigkeit (Ambiguity) entstehe viel Druck auf Unternehmen, denn diese müssten immer schneller auf Veränderungen reagieren und innovativer werden.

Damit ihnen das gelinge, müssten sich Unternehmen anders strukturieren. Denn die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens (mit klassischer, hierarchischer Organisationsstruktur) sinke mit steigender Komplexität. Bei Städten sei das Gegenteil der Fall: «Wenn Städte wachsen, nehmen sie meist auch an Innovationskraft zu». Ein Grund dafür sei, dass sie nicht hierarchisch wachsen, sondern auf Dezentralisierung und Autonomie setzten, erklärte die Referentin. Deshalb versuchten Unternehmen heute, sich die Stadt zum Vorbild zu machen und dezentraler und mit mehr Autonomie zu wachsen, um damit agiler auf neue Anforderungen zu reagieren.

Über den Erfolg einer Digitalen Transformation entscheidet schlussendlich der Faktor Mensch, denn Veränderungen fielen uns Menschen nicht leicht, so Kulle. Um eine Transformation trotzdem erfolgreich umzusetzen, müsse berücksichtigt werden, dass Menschen nicht immer rational handelten. Wir alle unterlägen beispielsweise dem Status Quo Bias, indem wir mögliche Nachteile einer Veränderung viel stärker gewichten würden als der zu erwartende Nutzen. Deshalb müsse sehr viel in einen Transformationsprozess investiert werden, um alle Betroffenen auf dem Weg mitzunehmen. Leider gelinge dies in den meisten Fällen nicht: «70 Prozent der Transformationen, die in den letzten zehn Jahren begonnen wurden, sind gescheitert. Das ist nicht ermutigend.» Genau deshalb müsse nach den Erfolgsfaktoren geforscht werden. Dazu gehörten nebst den richtigen Rahmenbedingungen namentlich Kommunikation und ein überzeugendes Narrativ, um alle Betroffenen einzubinden.

Anna-Corinna Kulle: «Veränderungen fallen uns Menschen nicht leicht.» Bild: © FUG / Stefan Wermuth

Stadt Thun: Der Mensch im Zentrum

Die Digitale Transformation ist in der Stadt Thun bereits in vielen Bereichen zur Realität geworden, betonte die Gemeinderätin Andrea de Meuron. Thun gehöre zu den ersten Städten, die auf eine digitale Geschäftsverwaltung umgestellt haben. Auch seien bereits etliche digitale Dienstleistungen verfügbar, so etwa eine App zum Parken, die City App My Local Services, der Onlineschalter der Stadt Thun oder – vom Kanton Bern vorangetrieben – die Betreuungsgutscheine KiBon, die online bezogen werden können.

Noch vor dem coronabedingten Digitalisierungsschub erteilte der Thuner Stadtrat 2018 dem Gemeinderat den Auftrag, eine Digitalisierungsstrategie zu erarbeiten. Im März 2022 wurde diese verabschiedet. Die vier Stossrichtungen der Strategie umfassen die Förderung der Mitarbeitenden; die einfache Nutzung und den Mehrwert digitaler Dienstleistungen; das einheitliche digitale Auftreten und nicht zuletzt die Förderung von Innovationen.

«Der Weg zur digitalen Verwaltung ist ein herausfordernder Transformationsprozess und betrifft in weiten Bereichen nicht technologische, sondern organisatorische und kulturelle Aspekte.» Das prozessorientierte Denken und den Kulturwandel voranzutreiben sei eine grosse Herausforderung, betonte die Gemeinderätin. Weiter stelle sie fest, dass die Digitalisierung mit einer erheblichen Mengenausweitung an Hard- und Software verbunden sei. «Es gibt Stimmen in der Politik, die denken, Digitalisieren bedeute Sparen. Das ist nicht so.» Die Kosten würden steigen und es sei nicht unbedingt weniger Personal nötig. Wenn, dann verschwänden vor allem niederschwellige Arbeitsplätze – das sei eine Herausforderung, ebenso die Inklusion digital nicht affiner Bürger:innen. Als Chance nannte Andrea de Meuron die verbesserten Kommunikations- und Partizipationsmöglichkeiten. Auch für die verbesserte Vereinbarkeit von Arbeit und Familie sowie für die Verkehrsinfrastruktur erhoffe sie sich positive Auswirkungen. «Der Mensch soll immer im Zentrum stehen», schloss sie.

Andrea de Meuron: «Es gilt die Strukturen und Voraussetzungen für einen umfassenden digitalen Kulturwandel zu schaffen.» Bild: © FUG / Stefan Wermuth

Auf dem Weg zum komplett digitalen Spital

In Sachen Digitalisierung ist das Spital Thun ganz vorne mit dabei. Im, aber auch ausserhalb des Operationssaals, wie Klaus Späth, CIO der Spital STS AG aufzeigte.

«Einen richtigen Schub gab es 2001, als wir als eines der ersten Spitäler im Kanton auf ein elektronisches Klinikinformationssystem umstellten.» Thun sei das einzige Spital in der Schweiz, das in Sachen Papierlosigkeit mit der Stufe sechs von insgesamt sieben ausgezeichnet sei.

Wo steht das Spital auf seinem Weg zum komplett digitalen Unternehmen? Geht es um die internen Prozesse, gerät Klaus Späth ins Schwärmen, denn diese seien fast vollständig digitalisiert. Dank computerbasierter Entscheidungsunterstützung und computerüberwachter Prozesse liessen sich Fehler bei der Behandlung von Patient:innen vermeiden – etwa bei der Verabreichung von Medikamenten. Laut einer Studie passierten bei rund 2 Prozent der abgegebenen Medikamente in Spitälern Fehler. Im Spital Thun verhindern dies computergesteuerte Medikamentenschränke. «Damit sind wir so weit, dass Fehler so gut wie nicht mehr passieren können. Nebenbei bestellt der Schrank die Medikamente selbständig und vollautomatisch.»

Ein weiterer Schritt auf dem Innovationsweg des Spitals Thun ist die roboterassistierte Chirurgie. Mit einem Operationsroboter werden minimalinvasive Operationen möglich, die bislang nur offen ausgeführt werden konnten. Der Operationsroboter ersetze nicht die Chirurgin, betonte Späth, sondern werde von ihr gesteuert und setze ihre Befehle präzise um.

Handlungsbedarf bestehe noch in der Vernetzung mit den Zuweisern. Diese würden in der Regel ihre Patienten besser kennen als die Ärzt:innen im Spital und sollten künftig bei wichtigen Themen wie Patientenaufklärung und während der Behandlung im Spital besser eingebunden werden. Bei den Patienten sei bereits heute schon ein wenig mehr möglich als bei den Zuweisern. Videokonsultationen, Terminerinnerungen, Dokumentenaustausch werde bereits rege genutzt. In der Zukunft seien Angebote wie Hospital@Home und KI-gestützte Chatbots geplant.

Mit seinem Fazit schlägt Klaus Späth den Bogen zu seinen beiden Vorrednerinnen: Erfolgreiche digitale Prozesse müssten sichtbare Mehrwerte bieten und führten idealerweise zu vereinfachten Prozessen. Alle Beteiligten müssten von Beginn an eingebunden werden. Aufwände und Kosten dürften nicht unterschätzt werden, mahnte er zum Schluss.

Klaus Späth: «Die Aufwände und die Kosten der Digitalisierung sind zum Teil immens und werden oft unterschätzt.» Bild: © FUG / Stefan Wermuth

Zur Veranstaltung

Personen bewegen sich einzeln oder in Gruppen auf einem Zahlenteppich aus Nullen und Einsen. Der Teppich symbolisiert die Digitalisierung beziehungsweise die Digitale Transformation.
© Christa Heinzer

Längst betrifft die Digitalisierung nicht mehr nur die Informatikabteilung einer Gemeinde. Was bedeutet das für eine Stadt wie Thun? Wie können die öffentliche Verwaltung oder ein Unternehmen mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien einen Mehrwert für die Bevölkerung und sich selbst schaffen?

Hier finden Sie sämtliche Unterlagen zur Veranstaltung.