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«Kann Verdichtung sozial sein?» fragte Gabriela Debrunner vom Geographischen Institut der Universität Bern. Alle Bilder: © FUG/Stefan Wermuth

Wohnen Morgen

Am dritten Abend der Reihe «Verdichten als Chance» wurde das Wohnen von morgen diskutiert. Wie sozial ist Verdichtung? Welche Rolle kommt alternativen Wohnformen zu? Mit welchen Herausforderungen ist eine Pensionskasse als Grundeigentümerin und Bauträgerin konfrontiert?

Von Aron Affolter

Die Frage, ob Verdichtung sozial sein kann, beschäftigt Gabriela Debrunner, Doktorandin am Geographischen Institut der Universität Bern. Die Schweiz sei ein Land der Mieterinnen und Mieter, begann die Referentin. So seien 63 Prozent des Wohnungsbestandes in Schweizer Städten und Agglomerationen zur Miete ausgeschrieben. Da in städtischen Zentren die freien Bauflächen bereits mehrheitlich überbaut seien, werde die zukünftige bauliche Entwicklung durch ein Verdichten im Bestand geschehen müssen. Mit Blick auf die grosse Anzahl an Mietwohnungen im städtischen Umfeld seien somit besonders Mieterinnen und Mieter von grossen Verdichtungsprojekten betroffen.

Soziale Verdichtung messen

Um soziale Verdichtung für ihre Forschung Verdichtung messbar zu machen, entwickelte Debrunner sechs Indikatoren. Dazu gehören unter anderem die Erschwinglichkeit der Wohnungen nach dem Umbau, die subjektive Zufriedenheit der MieterInnen in ihrer Wohnung und im Quartier, oder auch ihr Mitspracherecht im Planungsprozess. Werden diese Indikatoren der sozialen Verdichtung nicht erfüllt, so Debrunner, könne dies zu gesellschaftlichem Widerstand, zu sozialer Segregation und zu einer fehlender Akzeptanz des Planungsvorhabens führen.

Die Siedlung Brunaupark in Zürich als Fallbeispiel

Mögliche sozialen Folgen von Verdichtung veranschaulichte die Referentin am Beispiel der Siedlung Brunaupark in der Stadt Zürich. Heute umfasse die Siedlung 239 Wohneinheiten, die von vielen Senioren und Familien mit Kindern bewohnt werden. Die Eigentümerin, die Pensionskasse der Credit Suisse, plane die Wohnbauten komplett abzureissen und einen Neubau mit 258 zusätzlichen Wohnungen zu erstellen. Die von Debrunner durchgeführte schriftliche und mündliche Befragung der Bewohnerinnen und Bewohnern verdeutliche, dass hier nicht von einer sozialen Verdichtung gesprochen werden könne. Es zeige sich, dass die Wohnungen im Ersatzneubau für die jetzigen MieterInnen kaum mehr erschwinglich sein werden. Auch sämtliche anderen Indikatoren für soziale Verdichtung seien nicht erfüllt. Debrunner interpretierte diese Art der Verdichtung als Geschäftsmodell: «Für den Investor ist es sehr lukrativ, weil eine Investitionsmöglichkeit durch die Mehrausnützung geschaffen wird.» Auch die Stadt wolle diese nicht einschränken, um die Wettbewerbs- und Konkurrenzfähigkeit der Stadt Zürich zu erhalten. Kurzfristige ökonomische Ziele erhielten somit Vorrang gegenüber dem Erhalt sozialer Qualitäten.

Anreize für Investoren wirken einer sozialen Verdichtung entgegen

Einen grundsätzlichen Faktor, der gegen eine soziale Verdichtung wirke, sah Debrunner im Anreiz für Ersatzneubauten. Investoren argumentierten häufig, dass sich eine Innensanierung alleine nicht rechne und sich die Kosten nur durch eine Mehrausnützung durch Ersatzneubauten amortisieren liessen. Auch das Energierecht gebe mit seinen Subventionen einen Anreiz zu Ersatzneubauten. EigentümerInnen argumentierten ausserdem, dass das Mietrecht keine kontinuierliche Steigerung des Mietzinses im Bestand zulasse, weshalb oftmals nur ein Abriss und anschliessender Neubau in Frage komme. Zum Schluss des Vortrages stellte Debrunner Lösungsansätze für eine soziale Verdichtung vor. Dazu gehöre etwa die Förderung von gemeinnützigen Wohnbauträgern zugunsten preisgünstigen Wohnraums.

Wohnprojekte sollten sowohl Wohnungs-Nutzende als auch Wohnungs-Suchende einschliessen, betonte Ivo Balmer von denkstatt sàrl.

Eine nachhaltige Stadtentwicklung durch Wohnbaugenossenschaften

Ivo Balmer von denkstatt sàrl präsentierte Potentiale und Herausforderungen für gemeinwohlorientierte Wohnprojekte. Wohnbaugenossenschaften mit ihren Grundsätzen der Gemeinwohlorientierung und der Gemeinnützigkeit leisteten laut Balmer einen Beitrag zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Denn sie umfassten in ihren Grundsätzen demokratische und solidarische Elemente, wodurch unter anderem ein gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein der Mitglieder entstehe. In der Region Nordwestschweiz gebe es heute 190 Wohnbaugenossenschaften mit 14‘800 Wohnungen. 40 neue Projekte seien von verschiedenen Wohnbauträgern in der Planung oder in der Realisierung, wodurch in den nächsten fünf bis acht Jahren ungefähr 2‘000 Wohnungen entstünden. Dabei reichten die Projektträger von der «Selbstverwirklichungsgenossenschaft» bis zu den professionellen grossen Wohngenossenschaften, erklärte Balmer.

Potentiale und Herausforderungen für gemeinwohlorientierten Wohnprojekte

Potentiale sah der Referent etwa bei der Preisgünstigkeit der Baugenossenschaften durch die Kostenmiete. Damit werde kein erwirtschafteter Profit aus der Organisation herausgezogen, sondern in der Genossenschaft für Neuinvestitionen rückgelagert. Als weitere Vorteile nannte er die Selbstbestimmung, die Unabhängigkeit und das soziale Engagement der Mitglieder. Letzteres könne durchaus auch positiven Einfluss auf das Quartierumfeld haben, betonte Balmer. Auch führe der Miteinbezug der BewohnerInnen in die Planung bei einem Neubau oder einer Sanierung zu einer hohen Akzeptanz von Verdichtungsprojekten. Wichtig sei zudem das Potential von innovativen architektonischen Lösungen. Sie führten zu einem geringeren individuellen Flächenverbrauch. Geschuldet sei dies den internen Regulierungen, insbesondere den Belegungsvorschriften, aber auch den geteilten Flächen und Infrastrukturen. Als Herausforderungen hob Balmer die Einstiegsmöglichkeiten der Genossenschaften in den Grundstücks- und Immobilienmarkt hervor: «Die Preise übersteigen sehr schnell die finanziellen Möglichkeiten von gemeinnützigen Bauträgern, insbesondere wenn sie erst am Beginn ihrer Entwicklung stehen.» Als ein Lösungsansatz sah Balmer die Abgabe von Bauparzellen im Baurecht durch die öffentliche Hand, aber auch durch private Akteure.

«Bauliche Dichte ist nicht nur eine Frage der Ausnützung des Bodens», so Danilo Zampieri von der CPV/CAP Pensionskasse Coop.

Die historische Altstadt als Vorbild

«Was wir sicher nicht wollen, ist eine solche Verdichtung», begann Danilo Zampieri, Leiter Immobilien der CPV/CAP Pensionskasse der Coop Grupper Basel, und zeigte ein Bild einer asiatischen Grossstadt. «Verdichtung funktioniert, wenn eine Nutzungsdurchmischung besteht und alle Nutzungen wie Arbeiten und Wohnen an einem Ort konzentriert werden.» Als Beispiel dafür wählte der Referent ein Foto einer italienischen Altstadt. Um aufzuzeigen, wie dieses Prinzip der Nutzungsdurchmischung bei Verdichtungsprojekten in der Schweiz umgesetzt wird, präsentierte Zampieri ein Beispiel aus Kriens. Es handelt sich um ein Bauprojekt in einem ehemaligen Gewerbegebiet, wo bis 2025 1‘500 Wohnungen entstehen sollen. «Diese Wohnungen werden nicht entstehen, weil es einen Bedarf gibt für Wohnungen, und nicht, weil die Leute dicht wohnen wollen, sondern sie entstehen, weil die Investoren einen Bedarf haben an Investition», so Zampieri. Man müsse halt die grösste mögliche Rendite erzielen. Beim Bauprojekt achte man aber darauf, einen Nutzungsmix zu erzielen. Dazu seien im Erdgeschoss Büros und Gewerbeflächen geplant und in den oberen Etagen Wohnungen. Dies könne aber gleichwohl dazu führen, dass am Abend und in der Nacht Aussenräume im Erdgeschoss verlassen sind, musste der Referent zugeben.n.

Verdichten ist eine komplexe Angelegenheit

Zampieri betonte, dass Verdichtung Chancen, aber auch Gefahren mit sich bringe und verschieden Aspekte miteinbezogen werden müssten. Dazu gehören etwa die Berücksichtigung der Ökonomie, des Ressourcenverbrauchs und der Wohnungsqualitäten. Diese Aspekte müssen im Planungsprozess eines Bauprojektes ausgehandelt werden. Zampieri veranschaulichte dies am Beispiel eines geplanten Neubaus in Worblaufen bei Ittigen. Angestrebt werde eine Lösung, die sich in die Umgebung integriere und zum Landschaftsbild passe. Verdichtung sei schliesslich nicht nur eine Frage der Ausnützung: «Mit der Dichte steigt die Komplexität der Ansprüche und insbesondere der Ansprüche an die Qualität», schloss der Referent.

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Aron Affolter ist Hilfsassistent am Geographischen Institut der Universität Bern.