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«Unsere Ortsbilder laufen Gefahr, ihren identitätsstiftenden Charakter zu verlieren», warnte Tatiana Lori von der Berner Denkmalpflege. Alle Bilder: © FUG / Stefan Wermuth

Bewahren versus Erneuern

Wie verbinden wir das Ziel der Verdichtung mit dem Anspruch, identitätsstiftende Ortsbilder zu erhalten? Werden denkmalgeschützte Bestandesbauten neuen Nutzungsanforderungen gerecht? Ausführungen zumSpannungsverhältnis zwischen Bewahren und Erneuern aus Sicht der Denkmalpflege, eines Totalunternehmers und einer Gemeinde sollen Antworten liefern.

Von Stephan Kägi

Bauen und Verantwortung; Verdichten und Wohlbefinden

Tatiana Lori, stellvertretende Leiterin der Denkmalpflege des Kantons Bern, begann mit einem Zitat des Architekten Prof. Vittorio Magnago Lampugnani: «Bauen heisst nicht nur Verantwortung übernehmen gegenüber jenen, für welche die Gebäude unmittelbar bestimmt sind, sondern gegenüber der Gesellschaft». Wie wir unsere Umwelt gestalten, sei von zentraler Bedeutung, fuhr Lori fort. Es sei eine Frage der Gesundheit und des Wohlbefindens – vor allem im Hinblick auf die erwünschte und unvermeidbare Verdichtung der Orte. «Wir kommen deshalb nicht darum herum, uns mit unserer gebauten Umwelt auseinanderzusetzen, sodass qualitätsvolle uns lebenswerte Räume entstehen.»

Denkmäler – Identität und Globalisierung

Das rasante Siedlungswachstum in der Schweiz in den vergangenen Jahren und die kontinuierliche Erweiterung des Siedlungsgebiets führte zur Einsicht, dass die Zersiedelung gestoppt und das Kulturland geschont werden solle. «Tiefgreifende bauliche Veränderungen sind irreversibel, meist auf lange Zeit. Unsere Ortsbilder laufen Gefahr, ihren identitätsstiftenden Charakter zu verlieren». Unsere Baukultur samt unserer Umgebung seien wesentliche identitätsstiftende Aspekte für einen Ort und trügen zu dessen Unverwechselbarkeit bei. Unsere Baukultur bewirke, dass sich Menschen in einer globalisierten, überall gleichgestalten Welt orientieren könnten: «Denkmäler wecken Emotionen und sorgen für Konstanz, wenn sich die Umgebung verändert.»

Qualitätssicherung und Umsetzung. Verdichten bietet Chancen

Denkmäler treten in einen spannenden Dialog mit den Neubauten und öffentlichen Räumen. Sie eigneten sich neue Nutzungen an und besässen urbane Qualitäten, betonte Lori. Städtebau, Ortsbildpflege und Raumplanung müssten ein Gleichgewicht zwischen Bewahrung und Erneuerung anstreben. Verdichten biete Chancen, auf die Entwicklung der gebauten Umwelt und deren Qualität und damit auf identitätsstiftende Faktoren verstärkt Einfluss nehmen zu können. Lori hielt fest: «Die Denkmalpflege ist davon überzeugt, dass es möglich ist, moderne Architektur im Bestand zu integrieren, ohne dabei die Integrität eines Ortes zu verleugnen.»

«Wir können nichts umsetzen, was als Unternehmung nicht wirtschaftlich ist», unterstrich Herbert Zaugg von der Halter AG.

Die Rolle als Entwickler

Herbert Zaugg, Leiter Business Development der Halter AG, definierte die Rolle der Entwickler als «Ideengeber und Produktedesigner, die den ersten Stein werfen». Die zentralen Fragestellungen seien hierbei: «Wo und wie wollen wir zukünftig zusammenleben und in welcher Form? Ist die Entwicklung ländlich oder städtisch geprägt? Welche Disziplinen brauchen wir, um eine Entwicklung angehen zu können? Welche Bauelemente schaffen Identitäten? Wie schaffen wir Dichte?» Weiter erklärte Zaugg, grosse Quartierentwicklungen bildeten in der Schweiz die Ausnahme, wobei Sanierungen, Einzelprojekte und Verdichtungsprojekte mehrheitlich Thema seien. Dementsprechend müsse immer auf den spezifischen Ort Rücksicht genommen werden, wodurch eine ideale Planung gemäss Lehrbuch nicht existiere. Zaugg hielt aus Sicht eines Entwicklers klar fest: «Wir können nichts umsetzen, was als Unternehmung nicht wirtschaftlich ist.»

Bewahren – Identität und Rentabilität

Bestandesbauten und Quartiere als Ganzes schafften Identitäten, so Zaugg. Er verdeutlichte am Beispiel des Zwicky Areals in Wallisellen, wie Ersatzneubauten und Bestandesbauten einander ergänzen, indem Nutzung und Identität vereinbart werden. Weiter stellten die Hammerwerke in Worblaufen ein Beispiel für die Kombination von traditionellen und neuen Werten dar, indem modernes Wohnen neben der ältesten wasserbetriebenen Hammeranlage der Schweiz ermöglicht werde. Der Referent veranschaulichte damit, dass das Bewahren von Bestandesbauten bei Siedlungs- und Quartierüberbauungen sinnvoll sei, da durch den Siedlungscharakter Identität geschaffen werden könne. Die Halter AG sei überzeugt, dass Planungsprozesse massgeblich einfacher seien, wenn Bauten bewahrt werden können. Bewahren um jeden Preis sei aber keine Lösung. Zaugg betonte: «Qualität und Identität sind immer vorab zu klären. Nur so können wir für alle die beste Lösung suchen.»

«Siedlungsentwicklung nach innen setzt politischen Willen und Kontinuität über Jahrzehnte voraus», betonte Ittigens Gemeindepräsident Dr. Marco Rupp.

Bevölkerungsentwicklung der Agglomeration Bern

Dr. Marco Rupp, Gemeindepräsident von Ittigen, beschrieb die historische Entwicklung der Agglomeration Bern: «Das Bevölkerungswachstum in der Stadt Bern ist von 1950 bis 2000 rückläufig gewesen. Das Wachstum hat vor allem ausserhalb der Kernzone stattgefunden.» Durch planerische Massnahmen (Anpassung des Nutzungsmasses und die Art der Nutzung des Baubestands) seien Quartiere aber erhalten worden und durch die Sanierung von historischen Bauten habe eine starke Umnutzung von Wohnen in Dienstleistung stattgefunden: «Die Stadt hat wieder an Attraktivität gewonnen.»

Siedlungsentwicklung nach innen - Chancen und Herausforderungen 

Die Siedlungsentwicklung nach innen sei Teil einer konsistenten Gemeindepolitik (Raumplanung, Infrastrukturplanung, Gesellschaft, Bildung, Umwelt usw.), unterstrich Rupp, und baue auf die politisch konsolidierten Entwicklungsvorstellungen der Gemeinde auf. «Die Siedlungsentwicklung nach innen ist differenziert ausgestaltet: Es werden Entwicklungsschwerpunkte gesetzt; es gibt Gebiete, die weniger dicht bebaut werden; es werden neue Freiräume geschaffen und es wird versucht die historische Bausubstanz weiterzuentwickeln.» All dies setze politischen Willen und Kontinuität über Jahrzehnte voraus. Die Gemeinde nehme dabei durch ihre aktive Bodenpolitik eine Führungsfunktion ein. Es werde eine Partnerschaft zwischen der Gemeinde, den Investorinnen und Investoren und den GrundeigentümerInnen auf Augenhöhe vorausgesetzt. Doch Grundeigentümerverhältnisse in Entwicklungsgebieten seien in der Regel komplex: «Privatrechtliche Vereinbarungen hemmen eine Entwicklung oft und einzelne Grundeigentümer wollen keine Entwicklung oder gefährden diese durch überhöhte Geldforderungen.» Rupp hielt abschliessend fest, dass planungsrechtliche Instrumente fehlten, um eine Siedlungsentwicklung nach innen durchzusetzen. Siedlungsentwicklung nach innen erfordere eine Interessenabwägung – nicht überall sei alles möglich und es müssen stets Prioritäten gesetzt werden.

Zum Autor

Stephan Kägi ist Hilfsassistent am Geographischen Institut der Universität Bern.