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Afrika, der Westen und China
Für Afrikas Vorwärtskommen sind der Nord-Süd-Handel und ausländische Direktinvestitionen längerfristig nicht unbedingt die besten Entwicklungsrezepte. Dies gilt auch für den Investitionsboom Chinas in Afrika, welcher zwar kurzfristige Verbesserungen bringt, auf lange Sicht jedoch Fragen aufwirft. Welche Art Entwicklungszusammenarbeit braucht Afrika, um wirklich vom Fleck zu kommen?
Von Sarah Beyeler, Doris Moser und Marcus Moser
«Die Schweiz leistet ausgezeichnete Entwicklungszusammenarbeit, insbesondere in Afrika», stellte Prof. Dr. Mark Herkenrath,Geschäftsleiter von Alliance Sud, zu Beginn seines Referats klar. Die Wirkung werde aber wiederholt dadurch gemindert, dass Aspekte der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und Afrika die Entwicklung in Afrika massiv störten: Etwa der Export afrikanischer Korruptionsgelder auf den Finanzplatz Schweiz oder Gewinnverschiebungen multinationaler Konzerne, die zwar in Afrika produzieren, ihre Gewinne dann aber in ein Land mit tiefen Steuern wie die Schweiz verlagern, um in Afrika keine Steuern bezahlen zu müssen.
Internationale Zusammenarbeit der Schweiz: Fokus Afrika?
«Wirtschaftlich gesehen spielt der afrikanische Kontinent für die Schweiz keine grosse Rolle.» Nur rund vier Prozent aller Importe stammten aus Afrika und gerade mal 1.4 Prozent aller Schweizer Exporte flössen nach Afrika, so Herkenrath. Von den Direktinvestitionen ins Ausland gehe gar nur ein Prozent nach Afrika. Doch diese Situation könnte sich ändern, prognostizierte der Referent: «Ich kann mir gut vorstellen, dass die Schweiz bald eine Strategie der internationalen Zusammenarbeit haben wird, die den Fokus massiv auf Afrika legt, mit der Absicht, die Ursachen der Migration zu bekämpfen.» Weitere Ziele seien Migrationspartnerschaften und Rückführungsabkommen sowie staatliche Anreize zur Mobilisierung privater Investitionen.
Weltmarktintegration erhöht Krisenanfälligkeit
Braucht Afrika wirklich mehr Auslandinvestitionen und Nord-Süd-Handel? Wäre das die bessere Entwicklungszusammenarbeit (EZA)? «Der Nord-Süd-Handel steigert die soziale Ungleichheit signifikant», gab Herkenrath zu bedenken. Der Handel zwischen Industrie- und Entwicklungsländern bringe in Letzteren deutlich weniger Wirtschaftswachstum zutage als man sich erhoffen würde. Zudem werde das Wirtschaftswachstum sehr ungleich verteilt. Denselben Befund stellte Herkenrath auch mit Blick auf ausländische Direktinvestitionen fest. Diese verdrängten in der mittel- und längerfristigen Perspektive die einheimische Produktion, führten zum Verlust von lokalen Arbeitsplätzen und zu Steuerverlusten durch Gewinnverschiebungen. Entwicklungsländer mit überdurchschnittlich hohen ausländischen Direktinvestitionen hätten nicht mehr Wirtschaftswachstum als andere. Sie seien anfälliger für wirtschaftliche Folgeschäden internationaler Finanz- und Wirtschaftskrisen sowie für soziale und politische Spannungen, so Herkenrath. «Ich habe darum die Befürchtung, dass der Investitionsboom Chinas in Afrika ähnliche Konsequenzen haben könnte», zeigte sich der Referent besorgt.
Entwicklung braucht «policy space» und kohärente Politik
Um solche Mechanismen zu verhindern, brauche es weltpolitische Freiräume für alternative Entwicklungspfade. Doch zu hoffen, dass Afrika in der aktuellen globalen politischen Lage solche Freiräume bekomme, sei illusorisch: «Realistischer ist, dass wir in der Schweiz Afrika im Aufbau von dezentraler und ökologisch nachhaltiger Infrastruktur unterstützen, die allen Regionen zugutekommt». Die Stärkung einer politisch aktiven Zivilgesellschaft, die ihrerseits bei der Regierung Entwicklung einfordert, werde von der Schweizer EZA sehr gut erfüllt. «Gerade diese Art Entwicklungszusammenarbeit ist aber infrage gestellt, wenn wir versuchen, Entwicklungszusammenarbeit als Schmiermittel zu nutzen, um beispielsweise Rückführungsabkommen abzuschliessen.» Denn dann müsste die Schweiz mit Regierungen verhandeln und Projekte anbieten, die in deren Interessen liegen und nicht primär die Zivilgesellschaft stärken.
Jenseits der EZA brauche Afrika Transparenzmassnahmen zur Bekämpfung der Korruption oder gesetzliche Verpflichtungen zur Einhaltung der Menschenrechte und Umweltstandards für multinationale Konzerne. «Ohne solche Massnahmen wird die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz in Afrika weiterhin viel Gutes erreichen, aber wir brauchen auch entwicklungspolitische Kohärenz, damit Afrika wirklich vom Fleck kommt.»

Eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über die Entwicklungszusammenarbeit
«Eine Diskussion über die Herausforderungen und Möglichkeiten der Entwicklungszusammenarbeit in der heutigen Zeit ist sehr, sehr wichtig», begann Dr. Thomas Gass, Vizedirektor der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA, sein Referat. Diese Diskussion solle nicht nur in den betroffenen Organisationen und geldgebenden Hilfswerken stattfinden, sondern genauso in der Gesellschaft und den Universitäten. Die der Diskussion zugrundeliegende Frage müsse heissen: «Wie soll dieser Planet aussehen, wenn wir ihn an unsere Kinder weitergeben?» erläuterte der Referent.
Nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit: Rechenschaftspflicht ändern
Die Agenda 2030 sei keine Agenda einer einzelnen Partei, sondern ein intensiv verhandeltes Abkommen von Ländern mit unterschiedlichen Eigeninteressen, Kulturen und politischen Systemen. Denn unser Wohlstand, Sicherheit und Reichtum hänge auch vom Wohlergehen anderer Länder ab. «Kein Land ist letztlich unabhängig», zeigte sich Gass überzeugt.
Deshalb sei die Nachhaltigkeit in der internationalen EZA von grosser Bedeutung. Sie könne durch verschiedene Ansätze, Akteure und Instrumente positiv wie negativ beeinflusst werden. Ihre Wirksamkeit müsse deshalb jederzeit überprüft und die Ergebnisse kommuniziert werden. Um eine nachhaltige EZA zu gewährleisten, müssten die Rechenschaftspflichten aber geändert werden: Bisher seien die Empfangenden den Gebenden Rechenschaft schuldig gewesen, doch künftig sollten stattdessen die begünstigten Staaten ihrer eigenen Bevölkerung gegenüber Rechenschaft ablegen.
Niemand soll zurückgelassen werden
Ein erklärtes Ziel der Agenda 2030 sei es, die Armut um 50 Prozent zu senken. Das sei ein guter Ansatz – nur «schade um die anderen 50 Prozent!» gab der Referent zu Bedenken. Wenn eine wichtige soziale und wirtschaftliche Gruppe in Armut zurückgelassen werde, verfehle die internationale EZA ihr Ziel der Nachhaltigkeit. «Haben wir aussagekräftige Daten und sind unsere Messinstrumente genügend fein eingestellt, um Schwachstellen identifizieren zu können?», fragte der Referent kritisch. «Denn wir müssen wissen, ob unsere Projekte Machtasymmetrien verstärken, oder ob sie zu einem grösseren Gleichwicht der Macht führen», so Gass.
Beschleunigung der Entwicklungszusammenarbeit durch hohes Bevölkerungswachstum
Eine weitere Herausforderung stelle die steigende Migration dar. Es dürfe nicht vergessen werden, dass 80 Prozent des Migrationsflusses innerhalb Afrikas stattfänden und dort oft eine wirtschaftsfördernde Wirkung hätten. Gleichzeitig verlange das hohe Bevölkerungswachstum künftig nach einer immer schnelleren Lösung von Problemen wie beispielsweise Zugang zu Wasser oder Bildung. Denn wenn jemand zurückbleibe, sei unsere EZA nicht nachhaltig und «dann nehmen diese Personen ihre Kinder und steigen in ein Gummiboot, überqueren das Meer und kommen zu uns», schloss der Referent.

China: Die andere Art von Entwicklungszusammenarbeit
Der projizierte Cartoon war bissig: Chinas Staatspräsident Xi Jinping auf Shoppingtour, im Einkaufswagen hat er den ganzen Kontinent Afrika. «Chinas Verständnis von Entwicklungszusammenarbeit ist nicht identisch mit dem des Westens» begann Lara Lundsgaard-Hansen vom Centre for Development and Environment CDE der Universität Bern ihre Ausführungen. Die EZA von China fusse auf klaren, jahrzehntealten Prinzipien. Dazu gehörten «Gleichberechtigung und gegenseitiger Nutzen», «Respekt der Staatssouveränität» oder «Verzicht auf politische Konditionen». China stelle keine Bedingungen bezüglich Demokratie, bezüglich der Einhaltung von Menschenrechten oder bezüglich guter Regierungsführung. Es stünde allein die ökonomische Hilfe im Zentrum, betonte Lundsgaard-Hansen. Und dies nicht zu knapp: In den 15 Jahren von 2000 bis 2014 habe sich der Umfang der chinesischen EZA auf insgesamt 350 Milliarden US-Dollar erhöht.
Massive Investitionen in Infrastrukturen
China investiere in Afrika viel Geld in kreditbasierte, grundlegende Infrastrukturprojekte wie Strassen, Bahnen, Häfen, die Energie- und Wasserversorgung oder die Telekommunikation. Dies seien alles Projekte welche vom «Empfängerland» dringend benötigt würden und die willkommen seien, unterstrich Lundsgaard-Hansen. Oftmals würden diese Projekte jedoch von chinesischen Firmen erbaut, wodurch die finanziellen Investitionen wieder zurück in chinesische Hände flössen, während sich die lokalen Regierungen teilweise hoch verschuldeten. Die erbaute Infrastruktur trüge jedoch lokal sichtbar zur wirtschaftlichen Entwicklung bei, ein wesentlicher Punkt fürwahlbasierte Regierungsvertreter afrikanischer Länder. Die Referentin führte aus, dass China seine Aufmerksamkeit auch auf die Entwicklung von «human resources» richte, indem es zum Beispiel Ärzteteams in afrikanische Länder delegiere, humanitäre Nothilfe leiste, Schulen und Spitäler baue sowie Stipendien an afrikanische Studierende oder Experten vergebe, um sich in China weiterbilden zu können.
Westliche Kritik
Diese Art von Engagement würde durch den Westen stark kritisiert, erläuterte Lundsgaard-Hansen: Es handle sich um pure Geopolitik, gehe um die Anbindung politischer Verbündeter, um Rohstoffgewinnung und um die Sicherung eines Absatzmarktes für chinesische Produkte. Insgesamt fördere die chinesische Art von EZA in den Augen westlicher Beobachter die Korruption und führe zu neuen Schuldenkrisen und Abhängigkeiten. Die Kritik gipfle im Vorwurf, das chinesische Handeln sei eine neue Spielform von Neoimperialismus.
Die Afrikanische Sicht
Lara Lundsgaard-Hansen hatte im Rahmen ihrer Studien Gelegenheit, Einheimische in Tansania, Kenya, Madagaskar und Äthiopien zu ihrer Sicht der chinesischen EZA zu befragen. «Die lokale Bevölkerung in afrikanischen Ländern ist zwiegespalten», fasste sie ihre Erfahrungen zusammen. «Einerseits bringen die chinesischen Entwicklungsbeiträge wie Strassen, Bahn und Funknetze fürdie Telekommunikation grundlegende und essentielle Verbesserungen lokaler Einkommensmöglichkeiten.» Zudem könnten sich normale Bürgerinnen und Bürger plötzlich Produkte wie Schuhe, T‐Shirts und Mobiltelefone leisten, die vorher unerschwinglich oder nicht zugänglich waren. Andererseits kritisierten viele Einheimischen die Beschaffungskonditionen für die Infrastrukturen, den limitierten Technologietransfer sowie die Tatsache, dass das Geld in der Regel zurück in chinesische Hände flösse. Dann beklagten viele die häufig schlechte Qualität chinesischer Produkte. «Einzelne Stimmen stören sich zudem am informellen Stil der Zusammenarbeit zwischen den Regierungen, welcher die Korruption weiter fördere», sagte Lundsgaard-Hansen.
Entsprechend fiel auch das Fazit der Referentin ambivalent aus: «Für die kurzfristige Entwicklung Afrikas ist Chinas Art der Entwicklungszusammenarbeit wichtig, für die langfristige Entwicklung ist das aktuelle chinesische Verhalten aber möglicherweise gefährlich.»