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Hans-Ulrich Müller, Schlossherr und Unternehmer, begrüsste das Publikum am Thuner Forumsgespräch auf dem Schlossberg. Alle Bilder: © Forum Universität und Gesellschaft / Manu Friederich

Integration: Was es braucht, damit sie gelingen kann

Nach dem Kommen kommt das Bleiben. Doch wie gelingt das Bleiben, wie glückt der Start in die Arbeitswelt? Das Forum für Universität und Gesellschaft der Universität Bern diskutierte am zweiten regionalen Forumsgespräch auf dem Schlossberg Thun die Schwierigkeiten und fragte nach Lösungen. Eduard Gnesa und weitere Fachpersonen aus dem Berner Oberland erörterten die Fakten und Herausforderungen.

Von Sarah Beyeler

«Das wichtigste Ziel von Integration ist, dass man lernt, sich als ein Team zu verstehen und zu verhalten», begrüsste Unternehmer und Schlossherr Hans-Ulrich Müller die Zuhörenden. Integration bewege und verändere die Schweiz. Immer wieder hätten ausländische Unternehmer und Investoren ein Unternehmen oder gar eine ganze Branche nachhaltig weitergebracht.
Michael Fahrni, Geschäftsleiter des Swiss Venture Club SVC, doppelte nach: «Es gibt kaum ein Land mit so gut gelebter Multikulturalität». Mit einem Ausländeranteil von gut 24 Prozent und vier Landessprachen sei die Schweiz dafür prädestiniert, dass die Integration von Zuzügerinnen und Zuzügern gut gelingen könne. Wichtig sei, dass die Diskussionen darüber sachlich geführt und dass Leistung und Integrationswille honoriert würden.

Nicht Assimilation, sondern Integration

Wie die heutige Migrations- und Asylpolitik der Schweiz aussieht, darüber berichtete Eduard Gnesa, der ehemalige Sonderbotschafter für internationale Migrationszusammenarbeit. In einer kurzen Tour d'Horizon streifte er die verschiedenen Themenfelder und lieferte Zahlen und Fakten zur globalen Migration. Vergleiche man die Anzahl Asylgesuche in Europa und der Schweiz während der letzten zwanzig Jahre, so seien die Kurven ähnlich: Nach verhältnismässig wenigen Asylgesuchen zwischen 1998 und 2014 habe sich nach dem Ende des Arabischen Frühlings ein deutlicher Anstieg gezeigt. Ganz entschieden wehrte sich der Referent gegen die weit verbreitete Ansicht, es handle sich dabei um Wirtschaftsflüchtlinge. «Das stimmt so einfach nicht: Es handelt sich hier vorwiegend um politische Flüchtlinge!» Neben der politisch motivierten Flucht seien aber ebenso Klimaveränderungen und Naturkatastrophen Gründe für die Migration. Für Gnesa ist klar: «Wenn Flüchtlinge in der Schweiz bleiben, ist keine Assimilation, sondern Integration wichtig, unter Respektierung unserer Grundwerte der Bundesverfassung.» Die Aufgenommenen müssten sich um die Integration bemühen, sei es durch das Erlernen einer Landessprache oder das Fitmachen für den Schweizer Arbeitsmarkt.

Rund 100 Personen verfolgten die Referate und Diskussionen.

Neue Asylstrategie im Kanton Bern

Christian Rohr, Geschäftsleiter des Vereins Asyl Berner Oberland (ABO), sprach über die konkreten Rahmenbedingungen der täglichen Integrationsarbeit.
Auf Bundesebene ist seit 2016 das neue Asylgesetz in Kraft. Hauptziel sei das beschleunigte Asylverfahren: 60 Prozent aller Gesuche sollten nach 140 Tagen rechtskräftig entschieden sein. «Wenn der Bund beschleunigt, verändert dies den Status der Personen, die an die Kantone überwiesen werden», so Rohr. Es handle sich dabei grösstenteils um Menschen mit einem Bleiberecht. Aufgrund dieser veränderten Ausgangslage habe der Kanton Bern seine Asylstrategie sehr schnell überarbeitet. Diese neue Asylstrategie werde nun seit 2017 auch umgesetzt. Die Strategie setze auf enge Zusammenarbeit mit Gemeinden, fokussiere lokale Integration und Regelstrukturen und verlange Deutsch und Beschäftigung ab dem ersten Tag. Im Unterschied zu früher gebe es nun vereinfachte Strukturen und Verantwortlichkeiten, meinte Rohr zu den Vorteilen. «Ziel ist die rasche Integration in den ersten Arbeitsmarkt von Vorläufig Aufgenommenen und Flüchtlingen.»

Erste positive Erfahrungen aus Pilotprojekten

In Pilotprojekten habe man erste Erfahrungen gemacht. Deutschunterricht ab dem ersten Tag, erteilt durch Freiwillige, zahle sich aus. «Freiwillige sind ganz zentral wichtig für die lokale Integration. Das bedingt aber eine professionelle Koordination.» Arbeitgebende seien seiner Erfahrung nach durchaus bereit, den Zugewanderten eine Chance zu geben, wenn Basiskompetenzen vorhanden seien. Das A und O sei aber eine professionelle Begleitung und die Übernahme der anfallenden administrativen Arbeit im Falle einer Anstellung, erklärte Rohr.
Einiges habe sich bereits bewegt, zog er Bilanz: Die Arbeitsbewilligung von vorläufig Aufgenommenen sei in eine Meldepflicht umgewandelt worden und das Thema der Regelung und Legalisierung von Praktikumseinsätzen habe höchste Priorität. Trotzdem bleiben beim Referenten noch einige Wünsche offen: Mehr Einigkeit unter den verschiedenen kantonalen Departementen; mehr Interesse der lokalen Entscheidungsträgern für das Thema Integration; der gesicherte Erhalt einer Arbeitsbewilligung für Personen des Asylbereichs und nicht zuletzt eine politisch sachliche Handhabung des Themas Migration.

Schulische Brücken zur Integration in die Arbeitswelt

Beat Eggimann, Bereichsleiter berufsvorbereitende Schuljahre am Berufsbildungszentrum IDM in Spiez, verknüpfte die Entstehung von schulischen Brückenangeboten mit der schweizerischen Migrationsgeschichte. Ab 1995 habe es zwei Klassen mit ca. 30 Plätzen gegeben. Die Zielgruppe stammte damals mehrheitlich aus Ex-Jugoslawien und aus Sri Lanka. Erst fast 20 Jahre später sei eine Erweiterung auf drei Klassen mit ca. 45 Plätzen nötig gewesen – ausschlaggebend war der Familiennachzug der bisher Zugewanderten.
Die Zuwanderung aus Afrika und dem Nahen Osten während der «Flüchtlingskrise» führte ab 2015 dann aber zu einer halbjährlichen Eröffnung von Klassen: «Der Peak war 2107 mit elf Klassen und 198 Plätzen plus weiteren Plätzen in anderen Gefässen.»
Das aktuelle Angebot umfasse das berufsvorbereitende Schuljahr Praxis und Integration auf zwei Stufen das berufsvorbereitende Schuljahr Praxis und Allgemeinbildung (BPA) sowie die Vorlehre Standard und die Vorlehre 25 Plus, so Eggimann.

Den bisherigen Weg weitergehen

In den Klassen sässen fast nur junge Männer, deren Herkunftsland in Afrika oder dem Nahen Osten liege. Eine Typisierung mochte Eggimann nicht vornehmen, doch «unterschiedliche Herkunft bedeutet unterschiedliche Voraussetzungen». Die Schulbildung im Heimatland, das individuelle Potential und nicht zuletzt Integrationswille und -bemühungen seien Faktoren, die den Integrationsverlauf prägten. Schwierig seien die lange Wartezeiten bei der Klärung des Aufenthaltsstatus‘, ging Eggimannn mit Rohr einig. Als weiteren Problembereich nannte er die Sprache: der geforderte Sprachstand A1 als Hürde, die Mundartsprache als Hindernis.
Eggimann wünschte verkürzte Asylverfahren und Wartezeiten sowie Konstanz in der Betreuung und Beschulung, um Brüche in der Integrationskette möglichst zu vermeiden. Weiter solle der Fokus stärker auf Kompetenzen denn auf Inhalten liegen und ein Netzwerk mit allen beteiligten Akteuren sei wünschenswert. «Ich glaube aber, wir sind gut dran», gab sich der Referent am Schluss zuversichtlich. Es gelte, den bisherigen Weg weiterzugehen und nicht nachzulassen. Ob er sich bewährt, werde sich erst noch zeigen.

Engagierte Podiumsdiskussion (vlnr): Beat Eggimann, Christian Rohr, Peter Siegenthaler, Dr. Eduard Gnesa und die Moderatorin Ursula Hürzeler

Verhaltener Optimismus auf dem Podium

Auf dem Podium diskutieren anschliessend die Referierenden und Thuner Vizestadtpräsident Peter Siegenthaler mit dem Publikum. Viele Fragen prägten die Debatte. Es wurde deutlich, dass das Räderwerk der neuen gesetzlichen Grundlagen erst noch greifen und vieles sich einpendeln muss. Klare Worte fielen: Das Modell «es kann jeder und es will auch jeder» sei schon im Ansatz falsch, gab sich Siegenthaler kritisch. «Für gewisse Personen ist der Arbeitsmarkt geschlossen.» Man müsse ehrlicherweise sagen, dass solche Fälle bei der Sozialhilfe landeten. Trotzdem zeigte er sich verhalten optimistisch: «Wir können das schaffen, aber es wird nicht leicht und braucht einen längeren Prozess.»