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Auf dem Foto sind vier Frauen bei einer Podiumsdiskussion zu sehen. Sie stehen bzw. sitzen hinter zwei runden, mit weißen Tischdecken bedeckten Stehtischen. uf den Tischen stehen Glaskaraffen und Gläser mit Wasser. Im Hintergrund ist ein Roll-up mit dem Logo des „Forum für Universität und Gesellschaft Universität Bern“ sichtbar. Im Vordergrund sind unscharf die Köpfe des Publikums zu erkennen.
Lisa Stalder (Moderation) und die Referentinnen Noëmi Seewer, Katrin Lerch und Rebekka Strub (v.l.n.r.) diskutieren mit dem Publikum über mentale Gesundheit im jungen und im hohen Alter. © FUG / Stefan Wermuth

Mentale Gesundheit im Lebensverlauf: Versorgungslücken und Handlungsansätze

Die Veranstaltung des Forums für Universität und Gesellschaft auf dem Schlossberg Thun macht deutlich: Mentale Gesundheit ist keine Frage des Alters, sondern der sozialen und strukturellen Bedingungen. Drei Referate zeigen, wie Leistungsdruck, Einsamkeit und Versorgungslücken Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen belasten – und was getan werden muss.

Von Sarah Beyeler

Mentale Gesundheit im jungen und im hohen Alter: Auf der einen Seite die Überforderung eines Systems, das mit steigenden Fallzahlen ringt, auf der anderen psychische Krisen, die tabuisiert und deshalb unentdeckt und unbehandelt bleiben.

Eine Frau mit hellblonden, schulterlangen Haaren spricht lächelnd in ein Mikrofon. Sie trägt eine weiße Bluse und gestikuliert mit einer Hand. Vor ihr steht ein aufgeklappter Laptop.
«Junge Frauen sind deutlich stärker von psychischer Belastung betroffen – und sie suchen häufiger Hilfe», sagt Rebekka Strub vom regionalen Kompetenzzentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie Berner Oberland. © FUG / Stefan Wermuth

Junge Menschen unter Druck

Das Jugendalter ist geprägt von tiefgreifenden körperlichen und seelischen Umbrüchen. Rebekka Strub vom Kompetenzzentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie Region Oberland beschreibt die Entwicklungsdynamik als ein Spannungsfeld: Die emotionale Reifung verläuft schneller als die Ausbildung der Selbstkontrolle. Dies führt zu impulsivem Verhalten und einem gesteigerten Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Besonders der schulische Leistungsdruck stellt einen massiven Stressfaktor dar. Mediennutzung kann dabei zugleich Ressource und Risiko sein – je nach Art und Ausmass.

«Wenn Jugendliche aktiv gegen Stress vorgehen müssen, ist das ein gesellschaftliches Warnsignal»

Die Familie bleibt ein zentraler Schutzfaktor. Doch wenn Eltern selbst belastet sind, steigt das Risiko für psychische Erkrankungen ihrer Kinder deutlich. Zugleich zeigt sich: Jugendliche suchen heute häufiger Hilfe, stossen dabei jedoch auf ein überlastetes Versorgungssystem. Die Notwendigkeit, Strukturen auszubauen und das familiäre Umfeld systematisch einzubeziehen, ist offensichtlich.

Eine Frau mit grauen, schulterlangen Haaren und Brille spricht in ein Mikrofon. Sie trägt eine helle Bluse, eine Halskette und eine Armbanduhr. Mit der freien Hand gestikuliert sie. Im Hintergrund ist ein blau-weißes Banner des Forums für Universität und Gesellschaft sichtbar.
«Im Alter nimmt die soziale Unterstützung ab – das erhöht das Risiko für Einsamkeit»: Katrin Lerch von der Pro Senectute Beratungsstelle Thun spricht über mentale Gesundheit bei älteren Menschen. © FUG / Stefan Wermuth

Herausforderungen im Alter

Auch ältere Menschen stehen vor erheblichen psychischen Belastungen. Katrin Lerch von der Pro Senectute Beratungsstelle Thun verweist zwar auf die insgesamt hohe Lebenszufriedenheit vieler über 65-Jähriger. Doch Einsamkeit, der Verlust sozialer Netze und kritische Lebensereignisse wie Krankheit oder der Tod des Partners belasten die seelische Gesundheit. Nicht selten kehren unverarbeitete biografische Brüche im Alter zurück und verstärken die Verletzlichkeit.

«Nichtgelebtes und Verdrängtes kehrt im Alter oft zurück – manchmal mit Wucht»

Auch pflegende Angehörige sind gefährdet. Ihre psychische Gesundheit leidet häufig unter der Dauerbelastung, und Hilfsangebote werden oft zu spät in Anspruch genommen. Erhöhte Suizidraten bei älteren Männern mahnen, dass psychische Krisen im Alter kein Tabu bleiben dürfen. Präventive Massnahmen, Teilhabeprojekte und niedrigschwellige Angebote zur Stärkung der Selbstwirksamkeit sind zentrale Bausteine, um die psychische Gesundheit im Alter zu fördern.

 

Eine Frau mit schulterlangen, braunen Haaren spricht in ein Mikrofon. Sie trägt eine schwarz-weiß gemusterte Bluse und eine dezente Halskette. Mit der freien Hand gestikuliert sie. Im Hintergrund ist unscharf eine Projektion mit dem Bild eines Baumes zu sehen
«Ein Rezept für alle gibt es nicht – Einsamkeit verlangt individuelle und strukturelle Lösungen», gibt Dr. Noëmi Seewer vom Institut für Psychologie der Universität Bern zu bedenken. © FUG / Stefan Wermuth

Einsamkeit – ein unterschätzter Risikofaktor

Die Psychologin Dr. Noemi Seewer von der Universität Bern macht deutlich: Einsamkeit betrifft Menschen in allen Lebensphasen. Ob junger Erwachsener oder Seniorin – wer das Gefühl hat, nicht dazuzugehören, ist seelisch gefährdet. Chronische Einsamkeit verliert ihren ursprünglichen Warncharakter und führt in einen Teufelskreis aus Rückzug und wachsender sozialer Distanz.

«Einsamkeit gehört zum Menschsein – aber sie darf nicht chronisch werden»

Die Gründe für Einsamkeit sind vielfältig und reichen von biografischen Belastungen bis zu strukturellen Faktoren wie Armut. Lösungen können nur auf mehreren Ebenen ansetzen – von politischen Strategien über lokale Initiativen bis hin zu individuellen Therapieangeboten. Standardlösungen greifen zu kurz, wenn es darum geht, Einsamkeit wirksam zu begegnen.


 

ZUR AUTORIN

Dr. Sarah Beyeler arbeitet am Forum für Universität und Gesellschaft

Zur Veranstaltung

Ein Kopf mit einem Gewitter symbolisiert die psychische / mentale Gesundheit.
© iStock

Sämtliche Unterlagen und Aufzeichnungen zur Veranstaltung «Leistungsdruck und Einsamkeit: mentale Gesundheit im Lebensverlauf» finden Sie hier.