Aktuell

Mentale Gesundheit im Lebensverlauf: Versorgungslücken und Handlungsansätze
Die Veranstaltung des Forums für Universität und Gesellschaft auf dem Schlossberg Thun macht deutlich: Mentale Gesundheit ist keine Frage des Alters, sondern der sozialen und strukturellen Bedingungen. Drei Referate zeigen, wie Leistungsdruck, Einsamkeit und Versorgungslücken Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen belasten – und was getan werden muss.
Von Sarah Beyeler
Mentale Gesundheit im jungen und im hohen Alter: Auf der einen Seite die Überforderung eines Systems, das mit steigenden Fallzahlen ringt, auf der anderen psychische Krisen, die tabuisiert und deshalb unentdeckt und unbehandelt bleiben.

Junge Menschen unter Druck
Das Jugendalter ist geprägt von tiefgreifenden körperlichen und seelischen Umbrüchen. Rebekka Strub vom Kompetenzzentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie Region Oberland beschreibt die Entwicklungsdynamik als ein Spannungsfeld: Die emotionale Reifung verläuft schneller als die Ausbildung der Selbstkontrolle. Dies führt zu impulsivem Verhalten und einem gesteigerten Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Besonders der schulische Leistungsdruck stellt einen massiven Stressfaktor dar. Mediennutzung kann dabei zugleich Ressource und Risiko sein – je nach Art und Ausmass.
«Wenn Jugendliche aktiv gegen Stress vorgehen müssen, ist das ein gesellschaftliches Warnsignal»
Die Familie bleibt ein zentraler Schutzfaktor. Doch wenn Eltern selbst belastet sind, steigt das Risiko für psychische Erkrankungen ihrer Kinder deutlich. Zugleich zeigt sich: Jugendliche suchen heute häufiger Hilfe, stossen dabei jedoch auf ein überlastetes Versorgungssystem. Die Notwendigkeit, Strukturen auszubauen und das familiäre Umfeld systematisch einzubeziehen, ist offensichtlich.

Herausforderungen im Alter
Auch ältere Menschen stehen vor erheblichen psychischen Belastungen. Katrin Lerch von der Pro Senectute Beratungsstelle Thun verweist zwar auf die insgesamt hohe Lebenszufriedenheit vieler über 65-Jähriger. Doch Einsamkeit, der Verlust sozialer Netze und kritische Lebensereignisse wie Krankheit oder der Tod des Partners belasten die seelische Gesundheit. Nicht selten kehren unverarbeitete biografische Brüche im Alter zurück und verstärken die Verletzlichkeit.
«Nichtgelebtes und Verdrängtes kehrt im Alter oft zurück – manchmal mit Wucht»
Auch pflegende Angehörige sind gefährdet. Ihre psychische Gesundheit leidet häufig unter der Dauerbelastung, und Hilfsangebote werden oft zu spät in Anspruch genommen. Erhöhte Suizidraten bei älteren Männern mahnen, dass psychische Krisen im Alter kein Tabu bleiben dürfen. Präventive Massnahmen, Teilhabeprojekte und niedrigschwellige Angebote zur Stärkung der Selbstwirksamkeit sind zentrale Bausteine, um die psychische Gesundheit im Alter zu fördern.

Einsamkeit – ein unterschätzter Risikofaktor
Die Psychologin Dr. Noemi Seewer von der Universität Bern macht deutlich: Einsamkeit betrifft Menschen in allen Lebensphasen. Ob junger Erwachsener oder Seniorin – wer das Gefühl hat, nicht dazuzugehören, ist seelisch gefährdet. Chronische Einsamkeit verliert ihren ursprünglichen Warncharakter und führt in einen Teufelskreis aus Rückzug und wachsender sozialer Distanz.
«Einsamkeit gehört zum Menschsein – aber sie darf nicht chronisch werden»
Die Gründe für Einsamkeit sind vielfältig und reichen von biografischen Belastungen bis zu strukturellen Faktoren wie Armut. Lösungen können nur auf mehreren Ebenen ansetzen – von politischen Strategien über lokale Initiativen bis hin zu individuellen Therapieangeboten. Standardlösungen greifen zu kurz, wenn es darum geht, Einsamkeit wirksam zu begegnen.
ZUR AUTORIN
Dr. Sarah Beyeler arbeitet am Forum für Universität und Gesellschaft
Zur Veranstaltung

Sämtliche Unterlagen und Aufzeichnungen zur Veranstaltung «Leistungsdruck und Einsamkeit: mentale Gesundheit im Lebensverlauf» finden Sie hier.