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«Sinn verspricht etwas, das es nicht geben kann, aber ohne das wir nicht leben können», stellte Prof. Dr. Ralph Kunz fest. Bild: © FUG / Stefan Wermuth

Sinnfindung mit Kirche?

Gott als eine Voraussetzung der Kirche, die sie nicht selber schaffen kann: Prof. Dr. Ralph Kunz sprach über den Umgang mit dieser Leerstelle und über ihre Bedeutung für die Sinnfindung.

Von Sarah Beyeler

«Gott sei Dank leben wir in einem Land, in dem niemand verfolgt wird, weil er oder sie Gott nicht danken will, oder von Gott nichts wissen will oder einem anderen Gott danken will». stellte Prof. Dr. Ralph Kunz vom Institut für Praktische Theologie der Universität Zürich zu Beginn der Veranstaltung zum Thema Kirchen, Glaube und Sinnfindung fest. 

Ob es aber überhaupt Sinn mache, den Namen Gottes zu nennen, und wofür dieser Name stehe, fragte er weiter. «Steht dieser Name für die Kirche? Ich sage nein, aber die Kirche sollte für den Namen einstehen.» Komplizierter werde es, wenn sich der Name Gottes nicht nur auf den Sinn, sondern auf den Sinn des Sinns beziehe. Dann nämlich stehe Gott für eine Voraussetzung, die wir nicht schaffen könnten. Kunz illustrierte dies am Beispiel des freiheitlichen, säkularisierten Staats. Auch dieser lebe, gemäss dem Böckenförde-Paradox, von Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen könne. Es gehe um eine moralische Substanz der Bürgerinnen und Bürger, die der Staat zwar fördern, aber eben nicht erzwingen könne.

Gott als Voraussetzung der Kirche

Was hat das nun mit der Kirche zu tun? Wenn er von Sinn spreche, meine er Gott, erklärte Ralph Kunz. Als Christ glaube er, dass Gott der Sinn der Kirche sei. In Anlehnung an Böckenförde hiesse dies, dass Gott die Voraussetzung der Kirche sei, die sie nicht selber schaffen könne. «Im Unterschied zum Staat bekennt sich die Kirche zu ihrer Voraussetzung, bezieht sich darauf, ruft sie sogar an, benennt sie, verdankt sie, dient ihr, nennt sie Gnade.» Ihren Gottesdienst nenne die Kirche Eucharistie, was Dankbedeute. Dieser Gottesdienst beschreibe das Wesen der Kirche. «Man könnte auch sagen, die Aufgabe der Kirche ist es, Gott zu ehren.» Abermals zog der Referent eine Parallele zu Böckenförde: «So wie ein Staat, der die Rechte seiner Bürger/-innen missachtet, zum Schurkenstaat wird, verliert eine Kirche, die Gott nicht ehrt, ihre Daseinsberechtigung.»

Busse tun

Dass die Kirche Gott verfehle und somit ihren Sinn verliere, sei heute eine verbreitete Meinung. Der Kirchenaustritt böte jedoch keine sinnvolle Konsequenz dieser Ansicht, gab sich Kunz überzeugt. «Wenn ich den Unrechtsstaat ablehne und Bürgerrechte einfordere, werde ich nicht zum Anarchisten, sondern lande wieder beim Staat, beim Rechtsstaat.» Die Antwort auf eine versagende Kirche sei folglich nicht der Austritt, sondern die reformierte Kirche. Mit reformiertbeziehe er sich nicht auf die Konfession, betonte Kunz, sondern auf eine Kirche, die immer wieder zu ihren Voraussetzungen umkehre, also Busse tue. 

Der Begriff Bussesei in diesem Zusammenhang als Umdenkenoder Umkehrenzu verstehen. Es gehe um eine Erneuerung des Bundes – und auch hier zog er wieder eine Parallele zum Staat. Denn genau dieses Bestreben, den Bund zu erneuern, finde sich beispielsweise in der Präambel der Bundesverfassung. «Ich sage nur, was für die Demokratie gilt, gilt auch für die Kirche. Es ist die Gemeinschaft, die einander hilft, den Bund zu erneuern.»

Das Begehren nach Erkenntnis

Wer nach dem Sinn des Sinns frage, begebe sich auf philosophisches Terrain. In der Philosophiegeschichte sei die Sinnfrage dann aufgetaucht, als der Sinn von existentialistischen Denkerinnen und Denkern radikal in Frage gestellt worden sei. Sie hätten den geistigen Voraussetzungen, die man nicht schaffen könne, nicht mehr getraut. So lege der Existentialismus den Finger auf eine offene Wunde unseres Seins, auf die eine Leerstelle, die wir nicht mit letzter Gewissheit zustopfen könnten. «Sinn verspricht etwas, das es nicht geben kann, aber ohne das wir nicht leben können.»

Als Beispiel für christlichen Existentialismus verwies Kunz auf die Kirche «als eine Gemeinschaft der Menschen, die weiss, dass sie Gott verfehlt, aber auch einer Gemeinschaft von Menschen, die sich danach sehnt, Gott zu sehen».
So sei etwa die Philosophin und Mystikern Simone Weil von der Sehnsucht, oder der Lust nach der Wahrheit ausgegangen und überzeugt gewesen, nur das Begehren könne unser Erkenntnisvermögen führen. «Sie merken: Busse und Begehren sind wie die radikalen Pole des Heiligen», fasste der Theologieprofessor zusammen und meinte abschliessend:
«Ich glaube, dass der Sinn ein Ruf ist, den man hört; eine Begegnung, nach der man sich sehnt. Und wenn man diesen Ruf hört, ist man erhört, wenn man wählt, ist man erwählt und folgt seiner Berufung.» Dies sei alles andere als eine elitäre Gesinnung, sondern leite hin zum Dienst und zu einem Leben in Demut.