Forum für Universität und Gesellschaft

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Das Publikum verfolgte anregende und spannende Erörterungen zur Beziehung Schweiz-China. Bild: © FUG / Stefan Wermuth

Schweiz – China: eine ambivalente Beziehung?

Das Fragezeichen im Titel der dritten Veranstaltung des Forums für Universität und Gesellschaft erwies sich als unnötig. Ambivalent sind die Beziehungen der Schweiz zu China tatsächlich – wirtschaftlich und politisch. 

Von Markus Mugglin

Es war im Jahre 2007, als sich Christian Etter als Chefunterhändler der Schweiz nach China aufgemacht hatte. Es ging um Vertrauensbildung und Sondierungen mit Blick auf ein Freihandelsabkommen. Das brauchte Zeit, meinte der ehemalige Botschafter. Ab Verhandlungsbeginn im Jahre 2011 ging es aber ziemlich schnell. 2013 lag das Freihandelsabkommen vor und bereits Mitte 2014 trat es in Kraft. 

Es sei um vier Interessensblöcke gegangen: um stabile Spielregeln für bilaterale Wirtschaftsbeziehungen, um eine Verbesserung von Marktzugang und Rechtssicherheit, um Kohärenz mit den Zielen der Nachhaltigkeit wie Umweltschutz, Arbeitsbeziehungen und Menschenrechte sowie um die Institutionalisierung der Zusammenarbeit zwischen den Behörden der beiden Länder.

Die Bemühungen scheinen sich auszuzahlen. Die wirtschaftlichen Beziehungen haben sich seit dem Freihandelsabkommen intensiviert, gab Etter Einblick in die Statistiken. Die Exporte nach China sind von 2014 bis 2019 um knapp acht Prozent gestiegen, die gesamten Exporte aber nur um knapp drei Prozent. Die Importe aus China erhöhten sich um 4,5 Prozent und damit ebenfalls stärker als die gesamten Importe der Schweiz, die um 2,6 Prozent gestiegen sind. China ist nach der EU und den USA zum drittwichtigsten Exportmarkt für die Schweiz aufgestiegen. Auf der Importseite ist einzig die EU wichtiger als China. «Ich bin der Letzte, der behauptet, dass diese Statistiken auf das Freihandelsabkommen zurückzuführen sind, ein Indiz sind sie trotzdem», beurteilte der ehemalige Chefunterhändler zurückhaltend positiv dessen Wirkungen. 

Auf die Frage aus dem Publikum, ob der Menschenrechtsdialog ein Störfaktor in den Verhandlungen gewesen sei, antwortete Etter mit einem klaren Nein. Es sei aber kein Geheimnis, dass China dieses Thema nicht gerne gehört habe und dass der Dialog manchmal besser und manchmal – wie gerade jetzt - weniger gut verlaufe. Beim Umweltthema habe sich die chinesische Delegation aber relativ rasch gesprächsbereit gezeigt. Bei den Arbeitsbeziehungen sei es schwieriger gewesen, man sei aber doch zu konkreten Ergebnissen gekommen.

Handelsstreit USA – China und die Schweiz

Ganz anders als in den neu geregelten Beziehungen Schweiz – China sieht es im Verhältnis zwischen China und den USA aus. Es herrscht Streit und dies nicht erst seit dem Amtsantritt von Donald Trump in den USA, betonte Manfred Elsig vom World Trade Institute WTI der Universität Bern. Er habe bereits 2001 begonnen, nachdem China der Welthandelsorganisation WTO beigetreten war. Die USA hätten kurz darauf Antidumping-und andere Gegenmassnahmen ergriffen.

Der Unterschied zwischen heute und früher und speziell zwischen Donald Trump und seinem Vorgänger Barak Obama liegt laut Elsig in der Art des Vorgehens: «Obama hat den Aufstieg Chinas als etwas gesehen, das man nicht mehr verhindern kann und hat versucht, eine Art Koexistenz in der Diplomatie aufzubauen. Trump geht von der Rivalität von zwei Supermächten aus und ergreift Massnahmen im nationalen Sicherheitsinteresse.»

Eskaliert ist der Streit ab 2018. Bis dann betrugen die chinesischen Zölle durchschnittlich acht Prozent, die amerikanischen Zölle durchschnittlich drei Prozent. Seither wurden sie schrittweise erhöht, zuerst auf Waschmaschinen, dann auf Stahl und Aluminium, später auf weiteren Produkten. Jetzt liegen die Zölle bei 20 Prozent. Im Unterschied zu Südkorea, Mexiko und Kanada, habe sich China das Vorgehen von Trump nicht bieten lassen und die Zölle auf US-Produkten ebenfalls auf 20 Prozent erhöht. 

So bleibe es auch jetzt, nachdem die USA und China im Januar 2020 den «Deal Phase 1» abgeschlossen haben. Manfred Elsig beurteilt ihn als sehr einseitig. Er enthalte nur Forderungen der USA. Festgelegt wurde, wie stark China die Importe aus den USA erhöhen muss, wie geistiges Eigentum gestärkt, Lebensmittel der USA einfacher eingeführt und der Markt für Finanzleistungen geöffnet werden soll. Bei der Streitbeilegung würde nur die Interpretation der USA gelten. Weshalb China zugestimmt hat, darüber könne er nur spekulieren, meinte der Welthandelsexperte.

Auch für die Schweiz sei es eine neue Situation, wenn die USA gegenüber China «managed trade» betreiben. Es sei unklar, welche US-Produkte von zusätzlichen Exporten profitieren würden. Es könne zur Umlenkung von Handelsströmen führen und die Schweiz direkt als Pharmastandort oder indirekt zum Beispiel als Zuliefererin der europäischen Automobilindustrie treffen. Dies könne bedeuten, dass die Schweiz ihre Aussenhandelsstrategie anpassen müsse. Elsig verwies dabei auf die China-Klausel im neuen Vertrag der USA mit Kanada und Mexiko. Diese verlange, dass die Länder mit den USA besprechen, was sie in Verhandlungen mit China tun wollten. Die USA dürften deshalb genau schauen, was die Schweiz bei Projekten wie der chinesischen Seidenstrasseninitiative tun werde. 

Gemischte Erfahrungen bernischer Unternehmen

Drei Unternehmen aus dem Kanton Bern mit drei verschiedenen Erfahrungen, davon wussten die CEO Eva Jaisli vom Werkzeugspezialist PB Swiss Tools, Hans Brändle vom Photovoltaik-Unternehmen Meyer Burger und Simon Michel von der Medizintechnik Holding Ypsomed zu berichten.

Swiss Tools im Emmental machte 2014 den Schritt nach China, ermutigt durch das Freihandelsabkommen mit China, meinte Eva Jaisli. Die dortige Vertriebsgesellschaft wachse zweistellig und damit schneller als alle anderen in den 85 Ländern, wo Swiss Tools präsent ist. «China treibt uns an», betonte Eva Jaisli. Auch durch Kopieren, was aber nicht nur in China passiere. Dagegen setze man sich zur Wehr, indem man immer bestrebt sei, weiter und besser zu sein als die Konkurrenz. 

«Kopiert zu werden ist die grösste Ehrerweisung. In China werden nur die besten kopiert», meinte Simon Michel von Ypsomed. Sein Unternehmen fühle sich in China trotzdem geschützt, dank der Qualität der Produkte, dem Preis und der Zuverlässigkeit, die das Unternehmen bieten könne. Ypsomed liefere Pharmaunternehmen mit ihren Injektionssystemen die «Verpackung» für teure Medikamente. Diese wollten keine Risiken eingehen und würden deshalb nicht bei einem Kopierer einkaufen. Das Unternehmen werde den Umsatz in China in den nächsten Jahren stark erhöhen und jetzt ein Werk im Süden des Landes einrichten. 

Er habe Glück, meinte Hans Brändle von Meyer Burger an den Ypsomed-CEO Simon Michel gewandt, weil sein Unternehmen nicht in einem Bereich tätig sei, den China zu einer Schlüsselindustrie erklärt habe. Die Spezialität von Meyer Burger, die Photovoltaik (zusammen mit Wind) sei hingegen neben Hochgeschwindigkeitszügen und Air Space eine der drei strategischen Bereiche, für die «Made in China 2025» gilt. Das bekäme Meyer Burger zu spüren. Begonnen habe es gleich mit der ersten nach China verkauften Maschine. Sie sei sofort kopiert worden. Und perfekt sei es passiert: «Auf Fotos war es nicht ersichtlich, bei welcher Maschine es sich um die Kopie gehandelt hat.»

«Gleich lange Spiesse», dafür sollte sich der Bundesrat einsetzen, antwortete Hans Brändle auf die Frage aus dem Publikum, was er sich wünsche. Den sicheren Marktzugang nannte Eva Jaisli für PB Swiss Tools, eine Charmeoffensive des Bundesrates, aber keine Belehrung, sähe Simon Michel gerne. 

Braucht es Kontrollen ausländischer Investitionen?

Braucht die Schweiz eine neue Strategie im Verhältnis zu China, sollte sie sich auch besser schützen? Auf diese Fragen konzentrierte sich die Diskussion der Politikerinnen und Politiker. Die Schweiz sei mit ihrer sehr offenen und liberalen Marktwirtschaft enorm verwundbar, meinte CVP-Ständerat Beat Rieder, der deshalb vor zwei Jahren in einer Motion eine Kontrolle für ausländische Direktinvestitionen in Schweizer Unternehmen forderte. «Es ist keine Lex China» betonte der Motionär in der Diskussion zur Frage, ob ein Ausverkauf der Schweizer Wirtschaft drohe. Die Diskussion machte aber klar, dass es dabei nicht zuletzt um den Einkauf chinesischer Investoren in Schweizer Unternehmen geht, die sich in den letzten Jahren gehäuft hatten. 

Es bestehe die eigenartige Situation in der Schweiz, dass der Kauf einer 120 Quadratmeter-Wohnung in Zermatt durch einen Chinesen von drei Instanzen – Gemeinde, Kanton und Bund – genehmigt werden müsse, eine Übernahme von Syngenta erfolge hingegen ohne Prüfung. Das müsse sich ändern, forderte Ständerat Rieder. Es brauche auch bei Übernahmen von Unternehmen eine Kontrollinstanz. 

Nationalrätin Christa Markwalder (FDP) sprach sich entschieden gegen eine Investitionskontrolle aus. «Die Schweiz als offene Volkswirtschaft braucht keine Industriepolitik», hielt sie entgegen. Direktinvestitionen hätten auch mit Wohlstand und Wohlstandsentwicklung zu tun. Diese würden aber mit Kontrollen limitiert. Es brauche keine zusätzliche Kontrolle, weil unsere kritische Infrastruktur wie Wasser, Elektrizität zum grossen Teil den Kantonen und Gemeinden gehörten und bereits gesichert seien.

«Wir sollten nicht so tun, als ob», meinte hingegen Nationalrätin Jacqueline Badran (SP). Die Eigentumsverhältnisse seien entscheidend. Über die Syngenta kontrolliere China jetzt einen grossen Teil des globalen Saatgutmarktes und hätten darüber hinaus dank anderen Investitionen grossen Einfluss auf die globale Landwirtschaft. Es sei naiv zu glauben, dass es nicht darauf ankomme, wem die Sachen gehörten. Heute würden Länder nicht mehr mit Panzer erobert, man kaufe sie. Zu denken gebe vor allem, dass 30 Prozent der chinesischen Direktinvestitionen in Europa gingen in den Energiesektor.

«Gouverner, c’est prévoir», darum gehe es, gab Nationalrat Gerhard Andrey (Grüne) zu bedenken und sprach sich für Investitionskontrollen aus. Nur so könne vermieden werden, dass der Bundesrat im Nachhinein mit Notrecht reagieren müsse. Es geht heute um mehr als nur um die Formel «Business of business is doing business», denn wir stünden an einem ganz anderen Punkt in der Geschichte. Diskutiert werden müsse vielmehr, wie eine nachhaltige Wirtschaft langfristig aussehen könnte, bevor es um die Optimierung der Materialflüsse zwischen China und der Schweiz gehe. 

Mit einer Investitionskontrolle würde die Schweiz nur tun, was andere Länder längst täten, betonte Ständerat Rieder. Wir müssten uns auch mit unseren Hauptpartnern in der EU abstimmen. Es gehe folglich nicht um Abschottung.

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Der Ökonom Markus Mugglin arbeitet als freischaffender Journalist.