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Köbi Gantenbein: «Verdichten heisst, dass jeder und jede bei uns gut auf und mit 30 m2 lebt.» Bild: © FUG / Stefan Wermuth

Raum- und Siedlungsentwicklung in der Schweiz

Der Auftakt zu den Berner Forumsgesprächen fokussierte aus unterschiedlichen Perspektiven auf die Raum- und Siedlungsentwicklung in der Schweiz

Von Sarah Beyeler und Marcus Moser

Schönschweiz – Gebrauchtschweiz – Verdichtschweiz

In einem persönlich gehaltenen Referat unternahm Köbi Gantenbein, Verleger der Hochparterre AG für Architektur, Planung und Design, eine «Reise über Land und in die Erinnerung». Diese Erinnerung trug ihn zurück in die verschiedenen Wohnsituationen, die er bislang erlebt hatte und vorwärts in jene Wohnform, die er noch zu erleben gedenke:

  • Die erste Wohnung der Familie Gantenbein umfasste Ende der 1950er Jahre 57m2für vier Personen. Damit lag sie unter der durchschnittlichen Wohnfläche pro Kopf von damals 30 m2.
  • Die zweite Wohnform der Familie Gantenbein war typisch für den Wachstumsschub, der die Dörfer seit den 1960er Jahren formte und ausfransen liess: Die Familie bezog ein Einfamilienhaus. «Meine neue Lebensform brauchte fürs Wohnen 180 m2ohne Garten, mit Garten 1 Are. So stiegen auch wir in die Schweiz der Ent-dichter ein.» Zu dieser Zeit seien für seine Generation die Bilder des Immermehr eingerichtet worden: «Immer mehr Essen, immer mehr Energie, immer mehr Raum und auch immer mehr Genuss von Wohlleben und von Komfort.»
  • Mit dem Studium begann für Köbi Gantenbein eine neue Erfahrung: Die Wohngemeinschaft im Mehrfamilienhaus mit privaten und gemeinsam genutzten Zimmern. «Dieses Durchflechten von Privat, Halbprivat und Öffentlich ist in meinen Augen das Rezept für gutes Verdichten auch heute und morgen.» Das sei ein Gegenentwurf zur Ent-dichtung, genauso wie die alten Stadtkerne, in denen eine hohe Dichte einst vorbildlich umgesetzt worden sei. 
  • Seit zwölf Jahren wohnt Gantenbein wieder auf dem Land, in einem «verträumten, steinalten Haus aus der Familie.» Leben auf dem Land und Arbeiten in der Stadt: Das sei nur möglich dank der guten Verkehrsanbindung. Der technische Ausbau und die Verkehrsgunst als Landes- und Alpenplanung prägt nach Gantenbein heute das Bebauen und Besiedeln der Schweiz. «Darum muss, wer Verdichtung will, den Ausbau der Strassen und Eisenbahnlinien radikal stoppen, ja zurückbauen.»
  • Er denke nun aber langsam an seine letzte Wohnung: das Altersheim. Das Zimmer habe er sich bereits vorgemerkt, es messe gut 20 m2. Hinzu kämen aber «das grossartige Fumoir, der prächtige Garten, der schöne Speisesaal und die Kapelle». Diese Wohnetappe würde dann dem folgen, was er als Köbi Gantenbein fordere: «Verdichten heisst, dass jeder und jede bei uns gut auf und mit 30 m2lebt.»

Verdichtung ja, aber … Planerische Ziele versus Tabu des Eigentums

Verdichtung umzusetzen ist schwierig. Prof. Dr. Jean-David Gerber vom Geographischen Institut der Universität Bern, erklärte, warum: Unter anderem, weil Verdichtung mit dem privaten Eigentum kollidiere.

Prof. Dr. Jean-David Gerber: «Das Verdichtungsziel kollidiert mit dem Tabu des Eigentums.» © FUG / Stefan Wermuth
  • «Verdichtung ist nicht nur ein gesetzliches Ziel, sondern auch eine moralische Verpflichtung», betonte Gerber. Die Raumplanung solle das kollektive Problem der nicht-haushälterischen Bodennutzung lösen. Ein hindernder Faktor sei das Eigentum als einer zentralen Institution in westlichen Gesellschaften. 
  • Gerber bezeichnete die Institution des Eigentums als ein wesentliches Tabu in unserem Wirtschaftssystem: Weil die Verdichtung solch grundlegende, gar unantastbare Werte unseres ökonomischen Systems berühre, sei sie schwierig umzusetzen: «Das Problem ist, dass die Verdichtung mit dem Tabu des Eigentums kollidiert.»
  • Abhilfe schaffen könnte zum Beispiel eine aktive Bodenpolitik der öffentlichen Hand, schlug Gerber vor. Öffentliches Eigentum erlaube eine effiziente Umsetzung von raumplanerischen Ansätzen und könne eine pragmatische Antwort auf das schwierige Ziel der Verdichtung sein. Trotzdem bleibe da ein «Aber», weil mit dieser Lösung das Tabu des Eigentums weiterhin aufrechterhalten werde. 

Gerbers Schlussforderung lautete daher: «Planungsinstrumente und Eigentum müssen in wissenschaftlichen und politischen Arenen diskutiert werden, weil sie zwei Seiten derselben Medaille sind!»

Siedlungsentwicklung nach innen (SEin) als Chance nutzen

Regierungsrätin Evi Allemann: «Der Kanton Bern will bei der Siedlungsentwicklung nach innen Pionier sein.» © FUG / Stefan Wermuth

Für den Kanton Bern sei die Siedlungsentwicklung nach innen keine Pflichtübung, sondern eine Chance, betonte Regierungsrätin Evi Allemann in Ihren Ausführungen. Eine Chance zu:

  • geringerem Ressourcenverbrauch
  • besserer Nutzung der bestehenden Infrastruktur
  • kurzen Wegen
  • einer Aufwertung der Wohnquartiere
  • einer Vitalisierung von Ortskernen und des öffentlichen Raums

Diese Chancen liessen sich aber nur nutzen, wenn auch die Herausforderungen aktiv angegangen würden, betonte die Regierungsrätin: Es gebe viele Grundeigentümer, es gebe Interessenskonflikte zwischen öffentlich und privat. Es gebe Tendenzen zur Gentrifizierung, also zur sozialen Entmischung von Wohngebieten. Darum seien die Prozesse einer Siedlungsentwicklung nach innen so anspruchsvoll. 

Regierungsrätin Allemann verwies auf Erfolgsfaktoren für gelingende Siedlungsentwicklung. Die öffentliche Hand müsse:

  • die Planungsrolle aktiv wahrnehmen
  • frühzeitig agieren
  • verborgenes Potential erkennen und Qualität einfordern
  • die Bevölkerung sensibilisieren
  • «Kümmerer» einsetzen und Beratung anbieten

Der Kanton Bern habe deshalb kantonale Entwicklungsschwerpunkte definiert, auch weil er bei der Siedlungsentwicklung nach innen ein Pionier SEin wolle.

Aktive Bodenpolitik als Hebel der Stadtentwicklung

Bieler Stadtpräsident Erich Fehr: «Grundeigentum ist wichtig, um das Ziel der Verdichtung zu erreichen.» © FUG / Stefan Wermuth

Der Bieler Stadtpräsident Erich Fehr zeigte, wohin eine engagierte Bodenpolitik führen kann. Die Stadt Biel betreibe seit 1921 eine aktive Bodenpolitik, als Folge befänden sich heute gut 25 Prozent des Gemeindegebietes in ihrem Grundeigentum. Mit der Verbindung von Planungshoheit und Eigentum könne die Stadt das Spannungsverhältnis Raumplanung – Eigentum überwinden. Deshalb sei Grundeigentum so wichtig, um das Ziel der Verdichtung zu erreichen, betonte Erich Fehr: «Wir verkaufen nur ganz selten Land, sondern geben es im Baurecht ab.»

  • Das Baurecht erlaube, auf künftige, noch unbekannte Herausforderungen Einfluss nehmen zu können. Zudem sei der Produktionsfaktor Boden nicht vermehrbar und gehöre daher über weite Teile in die öffentliche Hand, gab sich Fehr überzeugt. 
  • Trotzdem bleibe Verdichtung eine politisch-gesellschaftliche Herausforderung mit vielen Widersprüchlichkeiten: Bauzonen sollten Grünzonen nicht berühren. Gleichzeitig löse Verdichtung gegen innen Widerstände aus, denn verdichtetes Bauen bedeute mehr Menschen auf engem Raum.

Vor diesem Hintergrund sei Qualität zentral, schloss Erich Fehr: «Qualität bei der Verdichtung ist das Gebot der Stunde!»