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«Die ‹Vision Kirche 21› ist ein Ruf zur Selbstbesinnung, zur Bewusstwerdung dessen, was uns als Kirche ausmacht», betonte Prof. Dr. Matthias Zeindler. Bild: © Forum Universität und Gesellschaft / Stefan Wermuth

«Der Gedankenstrich als Ermunterung, selbst zu denken»

Mit der «Vision Kirche 21 – gemeinsam Zukunft gestalten» hätten die Angehörigen der Kirchen Bern-Jura-Solothurn bekräftigt, wie sie Kirche sein wollten: Die Offenheit zur Gesellschaft erhalten, den Bibelbezug nicht aufgeben. Prof. Dr. Matthias Zeindler sprach in seinem Referat über die Entstehung, den Inhalt und die Umsetzung der Zukunftsvision.

Von Sarah Beyeler

Am Anfang waren die Fragen

Mit acht Gottesdiensten, einem Kirchenrisotto und dem Visionsfest auf dem Bundesplatz feierten die bernischen reformierten Kirchen am 10. September 2017 ihre «Vision Kirche 21». Es sei das bisher grösste Fest der reformierten Kirche Bern gewesen, erinnerte sich Prof. Dr. Matthias Zeindler vom Institut für Systematische Theologie der Universität Bern.Ihren Ausgang nahm die Vision in der Wintersynode 2013. Damals sei die Motion «Kirche 21 – gemeinsam Zukunft gestalten» einstimmig angenommen worden. Auf welche Fragen diese Zukunftsvision überhaupt eine Antwort geben sollte, wurde 2015 im Rahmen von 15 Konferenzen unter dem Stichwort «Fragen stellen» eruiert und führte zu einer Fülle von nicht weniger als 5746 Fragen. Daraus seien die folgenden Leitsätze der Vision Kirche 21 entwickelt worden: 

Von Gott bewegt. Den Menschen verpflichtet:
Auf die Bibel hören – nach den Menschen fragen. 
Vielfältig glauben – Profil zeigen. 
Offen für alle – solidarisch mit den Leidenden. 
Die Einzelnen stärken – Gemeinschaft suchen. 
Bewährtes pflegen – Räume öffnen. 
Vor Ort präsent – die Welt im Blick. 
Die Gegenwart gestalten – auf Gottes Zukunft setzen.
Vier reformierte Dimensionen

Die Vision sei in einem basisorientierten Prozess entstanden. «Das ist ein reformierter Weg», bemerkte Zeindler zufrieden. Dieser reformierte Weg spiegele sich auch im Ergebnis. So seien im Gewebe des Textes vier Fäden eingewoben: Der volkskirchliche Fadenstehe für den aktiven Umgang mit kirchlichen Spannungen. Der aktive und bewusste Umgang damit – beispielsweise zwischen Offenheit und Abgrenzung oder zwischen formeller Mitgliedschaft und gelebter Nachfolge – gehöre zum Selbstverständnis der Volkskirche. «Da wird dann auch gleich evident, warum diese Leitsätze ebenfalls in Form von Spannungsfeldern formuliert sind.»

Der reformatorische Faden: «Reformatorisch würde ich theologisch bestimmen als eine bestimmte Weise, wie das Verhältnis Gott-Mensch verstanden wird.» Dabei stünde das Handeln Gottes vor dem menschlichen Handeln. Hier gebe es zwei Lesarten, so Zeindler: Zum einen seien wirvon Gott bewegt und lebten als glaubende Menschen. Zum anderen bewege Gott in seinem Handeln uns.
Der biblische Faden: 
Hier verwies der Theologe auf die Konzentration auf die Bibel als Grundlage der Kirche. Bibelkundige würden sofort merken, dass es in der Vision sehr viele biblische Bezüge gebe.
Der gesellschaftliche Faden: Schliesslich bezögen sich die Leitsätze auf die Gesellschaft, was sich bereits im Titel mit dem Ausdruck «Den Menschen verpflichtet» niederschlage.

Der Gedankenstrich als Aufforderung zum eigenständigen Denken

Besonders am Herzen lag Matthias Zeindler ein eher unscheinbarer Teil der Leitsätze: Der Gedankenstrich. «Er zeigt eine Verbindung an, aber er definiert nicht, wie diese Verbindung zu verstehen ist.» Sie immer wieder neu zu bestimmen sei Aufgabe sowohl der Individuen als auch der Gemeinde und der Kirche. «Der Gedankenstrich ermuntert uns, selbst zu denken.» Er nehme uns ernst als mündige Christenmenschen und weise nicht auf eine «triviale Wahlfreiheit» hin, sondern auf christliche Freiheit als einer Freiheit in der Verantwortung.

Die Vision sei auch nicht als Massnahmeplan zu verstehen, betonte Zeindler. «Sie gibt eben nicht Auskunft darüber, ob man die Pfarrhäuser jetzt verkaufen soll oder nicht, sondern es ist ein Ruf zur Selbstbesinnung, zur Bewusstwerdung dessen, was uns als Kirche ausmacht.» Mit der «Vision Kirche 21» hätten die Angehörigen der Kirchen Bern-Jura-Solothurn bekräftigt, wie sie Kirche sein wollten: Die Offenheit zur Gesellschaft erhalten, den Bibelbezug nicht aufgeben.

Ein gemeinsamer Suchprozess

«Jetzt sagt uns doch, wie wir das umsetzen sollen!» Mit dieser Forderung sei die Kirchenleitung oft konfrontiert gewesen. Da sei etwas Entscheidendes der Vision noch nicht angekommen, so der Referent, denn darum gehe es gerade eben nicht. Die Vision sei in einem gemeinsamen Prozess entstanden. In derselben Weise müsse auch die Umsetzung erfolgen, betonte er. «Wenn Gemeinden heute noch ratlos sind, dann begeben wir uns gemeinsam in einen Suchprozess, wo wir Antworten zu finden hoffen.»

In vielen Gemeinden sei man bereits sehr aktiv mit der Umsetzung beschäftigt. Matthias Zeindler endete mit einem Aufruf zur langfristigen Ausrichtung der Vision ohne Hektik: «Nicht schnelle Resultate sind gefragt, sondern langfristig mit der Vision unterwegs zu sein, sie zu bekräftigen und zu merken, dass sie sich nach wie vor bewähre.»