Forum für Universität und Gesellschaft

Aktuell

«Die Vorstellung eines Weltbilds hat sich ein Stück weit überlebt», lautete das Fazit von Prof. Dr. Dr. Claus Beisbart. Bild: © Forum Universität und Gesellschaft / Stefan Wermuth

Kriterien für gelingende Weltbilder

Was Weltbilder heute leisten müssten und ob diese Erwartungen im heutigen, durch Naturwissenschaften geprägten Zeitalter einlösbar sind, erläuterte der Philosophieprofessor Claus Beisbart. Dabei zeigte sich: Ein rein naturwissenschaftliches Weltbild vermag die Erwartungen nicht zu erfüllen.

Von Marcus Moser

«Wer heute nach Weltbildern sucht, stösst typischerweise auf alte Abbildungen» bemerkte Prof. Dr. Dr. Claus Beisbart vom Institut für Philosophie der Universität Bern zu Beginn seines Vortrags. Dies sei kein Zufall: «Die Vorstellung eines Weltbilds hat sich ein Stück weit überlebt.» Dies habe wesentlich mit dem Auftritt der modernen Naturwissenschaften zu tun, führte Beisbart aus, der sich im Weiteren vornahm, die Vorstellung von Weltbildern grundsätzlicher zu überprüfen. Beisbart tat dies, indem er eine Liste plausibler Erwartungen an ein Weltbild zusammentrug und sich in einem weiteren Schritt fragte, ob diese Erwartungen durch die modernen Naturwissenschaften denn auch erfüllt werden könnten.

Was also erwarten wir uns von Weltbildern? Nach Claus Beisbart sollten sie erstens die ganze Welt abdecken und so eine Gesamtsicht erlauben. Zweitens sollten Weltbilder bildhaft sein und als anschauliche Modelle dienen. Drittens sollte ein Weltbild richtig sein und dem objektivierten Wissen der Welt entsprechen. Nun werde Richtigkeit häufig mit Wahrheit gleichgesetzt. Der Philosoph betonte mit Blick auf die laufende Forums-Veranstaltung, dass Wahrheit für uns nicht direkt greifbar sei. Die Richtigkeit eines Weltbildes zeige sich für uns nur in seiner Begründbarkeit. Viertens erwarteten wir von einem Weltbild auch die Integration und Synthese wesentlicher Aspekte. Dahinter stecke unser Wunsch nach einer Übersicht. Als fünfte Erwartung an ein Weltbild formulierte Claus Beisbart sodann die Orientierung. Weltbilder sollten bei unserer Verortung helfen und auch Grundlagen und Normen für unser Handeln bieten.

Naturwissenschaften allein erfüllen Kriterien nicht

Sind diese Erwartungen an ein Weltbild in einem Zeitalter, das stark durch Naturwissenschaften geprägt ist, einlösbar? Claus Beisbart gab sich überzeugt, dass letztere insbesondere bei der Richtigkeit und Begründbarkeit punkten würden: «Die Naturwissenschaften haben uns Wissen ermöglicht, dass gut verankert ist und weiten Konsens geniesst. Ein hierauf gegründetes Weltbild hätte also beste Chancen auf Richtigkeit». Die Überprüfung der weiteren Forderungen auf dieser Basis erwies sich dann aber als wenig fruchtbar: Die Abdeckung der ganzen Welt durch die Naturwissenschaft in Raum, Zeit oder Mikrokosmos zeige an vielen Stellen vor allem die Erkenntnisgrenzen auf, kommentierte Beisbart. Stichworte seien Multiversum, Dunkle Energie, Quantenmechanik. Auch bezüglich der Bildhaftigkeit gebe es Einschränkungen. Wer könne sich schon etwas unter Verschränkung, Welle-Teilchen-Dualismus oder gekrümmter Raumzeit vorstellen? Auch der Wunsch nach Integration und Synthese werde häufig enttäuscht. Das Hauptproblem sieht der Philosoph in der fortschreitenden Spezialisierung der Wissenschaften, was einer umfassenden Synthese entgegenstehe. Was ist mit Orientierung? Auch die finde kaum statt. Claus Beisbart verwies hier  auf den Soziologen Max Weber und dessen Vorstellung einer wertfreien Wissenschaft.  Demzufolge enthielten naturwissenschaftliche Resultate allein eben keine unbedingten Werturteile. «Vier unserer Erwartungen an Weltbilder werden durch die Naturwissenschaften nicht erfüllt» bilanzierte Beisbart. «Das bringt uns in eine Zwickmühle, mit zwei Optionen»: ein rein naturwissenschaftliches Weltbild lässt sich zwar gut begründen, erfüllt aber keine der genannten weiteren Funktionen. Zudem führe die Aussage, dass sich die Welt in wesentlichen Zügen naturwissenschaftlich beschreiben liesse, über die Naturwissenschaften hinaus. Die zweite Option, ein nicht rein naturwissenschaftliches Weltbild, das philosophisch oder theologisch fundiert sei, hkönne nicht so sinnfällig begründet werden wie naturwissenschaftliche Resultate, habe aber grosse Vorteile bei den anderen Funktionen und Erwartungen. Beisbart’s Fazit: «Ich glaube, wir stehen heute vor diesem Dilemma. Daher haben wir heute Schwierigkeiten, uns für ein Weltbild zu entscheiden; früher war das einfacher».

Alternative Begründungsformen als Chance?

Heisst das alles, dass wir uns gar kein Bild der Welt mehr machen können und orientierungslos sein müssen? Nein. Claus Beisbart ging die Liste der Erwartungen nochmals durch. Bezüglich der Abdeckung der Welt als materieller Gesamtheit gebe es kaum Alternativen zu naturwissenschaftlichen Methoden, auch wenn wir immer wieder an Erkenntnisgrenzen stiessen. Hier sei eben eine Bescheidung des Menschen erforderlich. Bezüglich der Bildhaftigkeit: Es liessen sich allenfalls einzelne Aspekte der Welt bildlich darstellen; statt ein einziges Weltbild zu suchen, sollten wir lieber mehrere, sich ergänzende Weltauffassungen entwickeln. Bezüglich Richtigkeit und Begründung: Für naturwissenschaftliche Aspekte unserer Sicht auf die Welt müssten deren Massstäbe angewendet werden. Aber es gebe auch andere Fragen, Fragen der Orientierung, gesellschaftliche, ethische oder politische Fragen. Und hier gelte es Gründe auszuweisen und Positionen zu begründen, «so gut das eben geht». Bezüglich der Synthese: Diese sei heute ganz wesentlich die Aufgabe der Philosophie, «gerade die Wissenschaftsphilosophie versucht die Ergebnisse der einzelnen Wissenschaften zu integrieren.» Bezüglich Orientierung verwies Claus Beisbart auf weitere Begründungsformen, zum Beispiel das «Überlegungsgleichgewicht» nach John Rawls, das auf Vorstellungen gründe, die wir bereits hätten. Auch wenn wir damit keine Letztbegründungen erzielen könnten – ein Erkenntnisfortschritt sei damit durchaus zu erreichen. Und der Anspruch auf Wahrheit? Letztlich, so Philosoph Claus Beisbart, sei diese Frage gar nicht so relevant: «Wir müssen eben schauen, dass wir zu den Positionen gelangen, die am besten begründet sind.»