Forum für Universität und Gesellschaft

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Grosses Interesse am Thema Entwicklungszusammenarbeit: volle Aula der Universität Bern. Alle Bilder: © FUG / Stefan Wermuth

«Afro-Pessimismus ist nicht gerechtfertigt»

Ist die Entwicklungszusammenarbeit ein Auslaufmodell? Mit dem Fokus auf Afrika geht eine dreiteilige Veranstaltungsreihe des Forums für Universität und Gesellschaft der Universität Bern dieser Frage nach. Am 15. August war der Auftakt. Dabei zeigte sich: Es gibt weder einfache Erklärungsmodelle für die Armut noch einfache Rezepte für deren Bekämpfung. Unbestritten ist – zumindest bei Entwicklungsexperten: In Afrika gibt es auch sehr positive Entwicklungen und neue Chancen.

Von Gaby Allheilig

«Die Kluft zwischen Reich und Arm ist noch immer zu gross», stellte Hans Werder vom Forum für Universität und Gesellschaft einleitend zur Veranstaltungsreihe fest. Die Frage stelle sich, weshalb die Entwicklung in Afrika südlich der Sahara stagniert habe, während zum Beispiel Asien gewaltige Fortschritte verzeichnete. Zudem gelte es zu klären, was sich an der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) ändern müsse. Denn gemäss Werder steht eines fest: «Wir in Europa und in der Schweiz haben ein hohes Interesse daran, dass es unserem Nachbarkontinent gut geht.»

Grobe Erklärungsmodelle für Unterentwicklung

Thomas Breu, Direktor des Zentrums für Nachhaltige Entwicklung und Umwelt (CDE) und Professor für Nachhaltige Entwicklung an der Universität Bern, zeigte auf, wie sich die Entwicklungskonzepte in den letzten Jahrzehnten veränderten und welches die Folgen waren. Zwei Grundmuster prägten demnach die Entwicklungspolitik über Jahrzehnte: Einerseits die Meinung, dass primär interne Probleme der Entwicklungsländer wie Bevölkerungswachstum, tiefes Bildungsniveau, Korruption, etc. für die Unterentwicklung verantwortlich seien. Andererseits die Erklärung, Unterentwicklung sei eine Folge von Ausbeutung durch die Industrieländer.

Wechselnde Entwicklungsstrategien

Entwicklungspolitisch führte dies zu wechselnden Strategien: In den 1960er Jahren glaubte man, mit einer massiven Anschubfinanzierung und grossen Infrastrukturprojekten die Armut bekämpfen zu können. Angesichts der ernüchternden Resultate dieses Ansatzes ging man in den 1970er Jahren dazu über, die Hilfe zur Selbsthilfe zu propagieren; in den 1980er folgten im Zuge von Schuldenkrise und sinkenden Rohstoffpreisen die grossen Strukturanpassungsprogramme – welche die Lebensverhältnisse der Ärmsten massiv verschlechterten. Erst in den 1990er Jahren griff das Konzept der Nachhaltigen Entwicklung. Dieses wurde seither laufend weiterentwickelt – bis zur heutigen Agenda 2030.

Prof. Dr. Thomas Breu, Universität Bern: «Es braucht differenzierte Analysen der Entwicklungszusammenarbeit.»

Agenda 2030 stellt Wendepunkt dar

Mit der Agenda 2030 hat ein markanter Wendepunkt in der Konzeption von Entwicklung stattgefunden, wie Breu betonte: Erstmals seien gemeinsame Ziele formuliert worden, die alle Unterzeichnerstaaten miteinander ausgehandelt haben. Und erstmals handle es sich dabei um ein Konzept, das auf globaler Ebene ansetze – also berücksichtige, dass auch die Industriestaaten sich entwickeln müssen; nämlich in eine Richtung, in der die planetaren Grenzen von Umwelt und Ressourcen ernst genommen werden. 

Entwicklungsfinanzierung braucht Politikkohärenz

Mit Blick auf die Frage, welches erfolgversprechende Entwicklungsszenarien für die Zukunft sein können, verwies der Entwicklungsexperte zunächst auf Fakten, die weniger bekannt sind: So belaufen sich die Entwicklungsgelder der öffentlichen Hand gegenwärtig weltweit auf rund 150 Milliarden Franken. Die Remissen hingegen – also Geld, das Migrantinnen und Migranten in ihre Heimat transferieren – betragen rund 466 Milliarden Franken. «In der Entwicklungsfinanzierung wird die lokale Mittelgenerierung immer wichtiger», folgerte Breu. Nicht zuletzt aus diesem Grund sei es essenziell, dass der Abfluss von Steuereinnahmen, Steuerhinterziehung und illegale Finanzströme verhindert werden. «Hier steht auch die Schweiz in der Verantwortung. Sie muss ihre Aussenpolitik kohärent gestalten.»

Hoher Preis für Asiens Wirtschaftsboom

Eine weitere, weitgehend unbeachtete Tatsache: Afrika leide zwar am stärksten unter der Korruption. Aber es gebe auch positive Trends: Botswana, Ruanda und Namibia wiesen inzwischen eine bessere Bilanz punkto Korruption auf als zum Beispiel Italien, Griechenland, Ungarn und teilweise Spanien. Auf gutem Weg seien auch Senegal und die Elfenbeinküste, die diesbezüglich grosse Fortschritte gemacht haben. «Solche positiven Trends zeigen: Es braucht differenzierte Analysen», so Breu. Verdeutlichen lasse sich dies auch mit dem Vergleich Asien-Afrika: In Asien habe das markante Wirtschaftswachstum zwar zu einer positiven ökonomischen Entwicklung geführt. «Aber sozial und vor allem ökologisch hat dies einen hohen Preis, der die kommenden Generationen vor enorme Herausforderungen stellen wird.»

 

Dr. David Signer, NZZ: «Entwicklungsgelder schaffen oft falsche Anreize.»

Kriege, Konflikte, Korruption

David Signer, Afrikakorrespondent der NZZ, zeichnete indessen ein düsteres Bild Afrikas. Es sei «eigentlich ziemlich einfach»: In mindestens der Hälfte der Länder Afrikas herrschten entweder Kriege, würden Rebellen das Land unsicher machen oder die Länder seien extrem arm oder litten an Staatschefs, «die entweder inkompetent und gleichgültig oder korrupt und raffgierig sind». Kurz: «Afrika wird armregiert.» Hinzu komme das Bevölkerungswachstum, «ein weiteres Minenfeld der politischen Korrektheit», das ein allfälliges Wirtschaftswachstum auffresse.

Korbflechten oder Planungsruinen

In der Entwicklungszusammenarbeit machte Signer zwei Ansätze aus: Einerseits kleine, lokale Projekte, die von der Bevölkerung getragen werden. Die Gefahr von Planungsruinen sei hier eher klein. «Aber Brunnenbau und Initiativen zum Korbflechten können keine Institutionen und Strukturen ersetzen», so sein Kommentar. Andererseits gebe es Versuche zu strukturellen Reformen. Dort sei jedoch die Gefahr der Zweckentfremdung der Mittel und der Bürokratie wieder umso höher.

Signers eigene Folgerung aus seiner Tätigkeit: «Entwicklungsgelder schaffen oft falsche Anreize: In manchen Ländern gibt es mehr Hilfsorganisationen als Firmen.» Die Gelder der Gebernationen könnten zudem die Korruption anheizen, wirtschaftliche Entwicklung hemmen und diktatorische Regimes zementieren. Den Hauptunterschied zu Asien sieht der NZZ-Journalist freilich darin, dass die afrikanischen Länder junge Nationen sind. Dies unterscheide sie wesentlich von Asien.

Tiger und Löwen im Vergleich

Botschafter Raymund Furrer, Leiter Leistungsbereich Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung beim SECO, zog einen analytischeren Vergleich zwischen asiatischen «Tigern» und afrikanischen «Löwen». Er verwies darauf, dass es weder einfache Kausalitäten noch einfache Rezepte gebe. Die unterschiedliche Entwicklung der beiden Kontinente führt er hauptsächlich auf folgende Faktoren zurück: a) die Rolle der Landwirtschaft für die Entwicklung, b) die makroökonomische Stabilität, c) die Rollen von Staat und Privatsektor und d) die Art der Gouvernanz.

Botschafter Raymund Furrer, SECO: «Afro-Pessimismus ist nicht gerechtfertigt – und auch keine Option.»

Grüne Revolution versus Ausbeutung der Landwirtschaft

Asien etwa habe die Finanzflüsse in strategisch wichtige Sektoren gelenkt, sich für Investitionen geöffnet, den Export angekurbelt und gleichzeitig die Binnenwirtschaften vor ausländischer Konkurrenz geschützt. Afrika hingegen habe mit Überschuldung gekämpft und staatliche Interventionen hätten den Privatsektor oft verdrängt.

Auch in der Landwirtschaft, die eine grosse Rolle für die weitere Entwicklung spielen sollte, hätten die beiden Kontinente unterschiedliche Wege beschritten, hielt Furrer fest: Während Asien auf die «Grüne Revolution» und - mit internationaler Unterstützung - auf Agrarforschung setzte, sei in Afrika die Landwirtschaft behandelt worden wie andere, mineralische Rohstoffe, die man einfach abbauen könne: Sie sollte Rendite abwerfen – für die Regierungen und als Finanzierungsquelle für eine Industrialisierung. In diesem Zusammenhang seien Organisationen ins Leben gerufen worden, die Produkte wie Kaffee und Kakao praktisch monopolartig aufgekauft hätten – zu Preisen, die oft nicht einmal die Produktionskosten deckten. Laut Furrer ist dies eine wichtige Ursache dafür, dass sich die Landwirtschaft in Afrika kaum weiterentwickelt habe.

Digitalisierung: Chance für Afrika

Trotzdem: «Afro-Pessimismus ist nicht gerechtfertigt – und auch keine Option», so Furrer. Afrika brauche Wissen und Investitionen, um die Armut zu bekämpfen. Trotz gewaltiger Herausforderungen ortet auch er Trends, die zu «vorsichtigem Optimismus Anlass geben». Eine der grossen Chancen liege in der Entwicklung der Digitalisierung. Denn in Afrika gebe es zunehmend innovative Akteure, die im Privatsektor tätig seien.