Forum für Universität und Gesellschaft

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Thomas Myrach führte eloquent durch die Veranstaltungsreihe «Digitale Welt – Analoge Erfahrung» des Forums. Bilder: © Forum Universität und Gesellschaft / Stefan Wermuth

Digitale Welt – Analoge Erfahrung
eine Einführung

Von Thomas Myrach

Die Digitalisierung ist ein seit etlichen Jahren voranschreitender  Prozess. Immer weitgehender werden vertraute (Aufzeichnungs-)Medien in eine digitale Repräsentationsform übertragen. Das Bit wird damit quasi zum kleinsten gemeinsamen Nenner unserer Informations- und Wissensgesellschaft. Durch die Gesamtheit aller digital gehaltenen Aufzeichnungen konstituiert sich eine umfassende, multimediale digitale Welt. Demgegenüber basiert die menschliche Wahrnehmung auf analog funktionierenden Sinnen, über die wir unsere Umwelt erfahren. 

Die Begriffe Analogie und Digitalität beziehen sich auf Signale. Ein Analogsignal weist einen stufenlosen und unterbrechungsfreien Verlauf auf. Es kann einen beliebig feinen Verlauf abbilden und damit theoretisch unendlich viele Werte annehmen. Dies wird besonders anschaulich bei Schallwellen, die etwa Sprache oder Musik übertragen. Im Gegensatz dazu besteht ein (binäres) Digitalsignal aus letztlich nur zwei Werten. Mit einer Reihe von 0 und 1 Werten lassen sich analoge Schallverläufe nachbilden, es sind aber letztlich nur endlich viele, von der Technologie festgelegte Werte möglich.

Entkoppelung von Inhalt und Medium

So interessant die Zusammenhänge von analogen und digitalen Signalen aus technischer Sicht sind: Zentral für den mit der Digitalisierung einhergehenden gesellschaftlichen Wandel sind sie letztlich nicht. So mag etwa eine digitale CD gegenüber einer analogen Vinyl-Schallplatte bequemer in der Handhabung und die Wiedergabe frei von Störgeräuschen durch statische Aufladungen sein. Dennoch sind beide Medien insofern gleichartig, als bei ihnen eine feste Bindung zwischen dem Trägermedium und den aufgezeichneten Inhalten besteht. Die enge Kopplung von Inhalt und Datenträger ist kennzeichnend für die meisten traditionellen Medien. Bei der Verarbeitung von Inhalten durch einen Computer kann der Hauptspeicher dieser Geräte jedoch typischerweise frei beschrieben und ausgelesen werden. Dies gilt auch für gebräuchliche externe Speichergeräte. Somit ist die Kopplung von Inhalt und Datenträger wesentlich lockerer. Zwar ist auch bei diesen Medien die Information zu jeder Zeit an einem physisch definierten Ort festgehalten. Sie lässt sich aber prinzipiell davon lösen und kann dann weiterverarbeitet werden. Damit gehen Eigenschaften wie Reproduzierbarkeit und Veränderbarkeit einher, die neue Nutzungspotentiale eröffnen, aber auch besondere Probleme und Herausforderungen stellen. So können Dateien mit Texten oder Musik einfach vervielfältigt und weitergegeben werden. Dies befördert einerseits die Verbreitung der Inhalte, erschwert andererseits die Durchsetzung von Verwertungsrechten und beeinträchtigt daran geknüpfte Entgeltmodelle. Derartige indirekte Auswirkungen der Digitalisierung machen den eigentlichen Kern des digitalen Wandels aus.

Das Publikum verfolgte in fünf Veranstaltungen spannende Erörterungen unterschiedlicher Aspekte der Digitalisierung.

Vernetzen und Entgrenzen

Die Auswirkungen der Digitalisierung werden noch potenziert durch die Vernetzung, wie sie besonders durch das Internet verkörpert wird. Durch die Anbindung von Geräten an ein praktisch weltumspannendes Netzwerk lassen sich Daten schnell und ohne grossen Aufwand austauschen und miteinander verknüpfen. Gerade auch im Kontext der Internet-Technologien findet eine massive Entmaterialisierung von Informationsressourcen statt. Zwar sind digitale Artefakte immer in irgendeiner Form an irgendeinem Ort vorhanden. Dies ist für die Benutzer aber vielfach nicht recht fassbar und bleibt für sie intransparent. Einen plakativen Ausdruck findet dies im Cloud-Computing. Eine Cloud ermöglicht praktisch die Entgrenzung des eigenen technischen Geräts, indem sie die Nutzung externer Infrastruktur, Betriebsumgebungen und Anwendungsprogrammen ermöglicht. Dabei verhüllt die Wolke, wie diese Infrastruktur zur Verfügung gestellt wird, wer die gewünschten Anwendungsprogramme hostet und wo die konkreten Benutzerdaten gespeichert sind. 

Die hier angedeuteten Vorgänge der Entgrenzung und (scheinbaren) Entmaterialisierung werfen nicht nur technische Fragen auf. Für Menschen bestehen auch erhebliche Probleme der mentalen Aneignung dieser Konzepte. So werden etwa Textdateien in ihrer Darstellung immer noch vor allem wie ein gedrucktes Dokument in einem festgelegten Papierformat gedacht und angezeigt. Dies erscheint auch insofern fragwürdig, da digitale Dokumente immer seltener tatsächlich ausgedruckt werden. Dagegen wird durch eine derartige Fixierung der flexible Umgang mit den Textinhalten erschwert, etwa die Anpassung an verschiedene Darstellungsgeräte oder Verwendungszwecke.

Neue Medien, neue Verhaltensweisen

Mit dem vorderhand harmlos erscheinenden Wechsel der verwendeten Medien werden grundsätzliche Anpassungen der im Umgang mit den herkömmlichen Medien tradierten Verhaltensweisen erforderlich. Dies wirft eine Reihe von fundamentalen Fragen auf, wie der nach dem Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit, der Stellung von definierter Urheberschaft gegenüber kollektiven Erstellungsprozessen, der Ausprägung neuer tragfähiger Geschäftsmodelle speziell im Umgang mit digitalen Gütern. Ein in dieser Hinsicht gutes Beispiel gibt die bekannte Online-Enzyklopädie Wikipedia, in der gleich mehrere der angedeuteten Aspekte relevant sind. Technisch gesehen basiert sie auf einer Wiki-Plattform, mit der die Nutzer eine Seite nicht nur lesen, sondern auch editieren können. Dadurch werden kollaborative Schreibprozesse ermöglicht, bei denen einzelne Artikel durch vielfältige Interventionen verschiedenster Autoren entstehen und sich weiterentwickeln. Diese Autoren arbeiten überwiegend freiwillig und unentgeltlich. Alle Inhalte stehen den Benutzern kostenlos zur Verfügung. Um dies zu ermöglichen, wurde ein alternatives Geschäftsmodell auf der Basis von Spenden entwickelt. 

Wenn man sich vor Augen führt, dass mit der Erstellung der Encyclopédie ein Hauptwerk der Aufklärung geschaffen wurde, so wird anhand einer Anwendung wie Wikipedia deutlich, welche fundamentale Bedeutung die durch die Digitalisierung angestossenen Änderungen haben. Hier geht es nicht allein darum, dass voluminöse und umfangreiche Buchbände immaterialisiert werden und im Internet verschwinden. Auch der ganze Prozess der Erstellung, Verwertung und Nutzung wird auf eine gänzlich neue Basis gestellt und bringt vollkommen neue Verhaltensweisen hervor. Dabei wäre zu wünschen, dass derartige Anpassungen nicht nur intuitiv und ungeplant stattfinden, sondern geleitet werden durch Vorstellungen und Konzepte, wie wir die durch die Digitalisierung induzierten Änderungen in wünschbare Bahnen lenken. Dies dürfte die zentrale Herausforderung des digitalen Zeitalters sein.