Forum für Universität und Gesellschaft

Aktuell

Nach der Veranstaltung: Marcus Moser im Gespräch mit Peter Schneemann vom Institut für Kunstgeschichte der Universität Bern. Bild: © Forum Universität und Gesellschaft / Christa Heinzer

Anstelle eines Fazits

Von Marcus Moser

«Verstehen war meine Art, keine Angst zu haben», sagte der Waadtländer Nobelpreisträger Jacques Dubochet unlängst in einem Interview. Das Forum für Universität und Gesellschaft hat mit fünf Veranstaltungen versucht, die Digitalisierung und ihre Folgen in verschiedenen Facetten darzustellen und so deren Ungewissheiten durch besseres Verständnis zu begegnen. Es gehört zu den Wesenszügen dieses grundlegenden technologischen Wandels, dass er verschiedene Deutungen zulässt. Zum Abschluss sei auf einige Spannungsfelder hingewiesen, die im Rahmen unserer Veranstaltung immer wieder angeklungen sind und die allgemeine Diskussion prägen.

Digitale Transformation oder digitale Revolution?

Eine erste Differenz zeigt sich bereits in der Bezeichnung. Die Spannbreite reicht je nach Perspektive von Transformation bis Revolution. Als digitale Transformation kann zunächst ein fortlaufender Veränderungsprozess der Informationstechnik verstanden werden. Dazu gehören digitale Infrastrukturen (Netze, Hardware), Anwendungen (Software) sowie die darauf gründenden neuen Verwertungspotentiale der Wirtschaft. Als digitale Revolution werden üblicherweise die Auswirkungen dieser Veränderungen auf alle Lebensbereiche bezeichnet. Um die Tragweite zu illustrieren, wird sie gerne mit der Industriellen Revolution verglichen. Die Veränderungen betreffen die Wirtschafts- und die Arbeitswelt, die Öffentlichkeit und unser Privatleben. Was das für Auswirkungen hat, polarisiert: Die erwarteten Ergebnisse werden als Utopie ersehnt oder als Dystopie befürchtet.

Was passiert mit der Erwerbsarbeit?

Der technologische Fortschritt hat immer wieder zum Wegfall von Jobs geführt. Und andernorts neue geschaffen. So auch jetzt: Was automatisiert werden kann, wird auch automatisiert werden. Allerdings ist heute noch nicht absehbar, was wo und wie stark tatsächlich automatisiert werden kann – und mit welchen Auswirkungen auf die Beschäftigung. Studien warnen, dass bis zu 50 Prozent der Arbeitsplätze der Digitalisierung zum Opfer fallen könnten. Die Gegner derartiger Voraussagen argumentieren mit historischen Verweisen (z.B. auf die Transformation der Landwirtschaft) und werben für technologischen Optimismus. Wenn Algorithmen oder Roboter gefährliche, schmutzige und routinemässige Arbeiten ersetzen, führt das neben Erleichterung auch zur Befürchtung, dass mit wenig qualifizierten Arbeiterinnen und Arbeitern neu auch der Mittelstand mit Anwälten, Bankerinnen oder Juristen betroffen sein wird. Dies im Unterschied zu menschennahen Beratungs- und Empathieberufen, die durch Maschinen vorerst nicht ersetzt werden können. Zwar entstehen durch die digitale Transformation neue Arbeitsstellen für entsprechend qualifizierte Personen. Diejenigen, die hier den Job verlieren, werden die neuentstehenden Jobs dort aber nicht einfach so besetzen können. Deshalb fürchten Kritiker, dass die digitale Revolution zu einer sozialpolitischen Bedrohungslage führt. Andere weisen hingegen darauf hin, dass bereits heute rund ein Drittel der Beschäftigten im digitalen Teil der Wirtschaft (in der Schweiz) tätig sind. Sie finden die Lösung im Wachstum der Produktivität, wofür gerade eine weitere Zunahme der Digitalisierung die unabdingbare Voraussetzung bilde.

Bedingungsloses Grundeinkommen und lebenslanges Lernen?

Einige politische Akteure wollen die befürchteten sozialpolitischen Verwerfungen durch ein bedingungsloses Grundeinkommen eindämmen. Für andere werden hierdurch jedoch komplett falsche Anreize geschaffen. Sie wollen an einer an Bedürfnissen orientierten Unterstützung jener, die künftig nicht mehr am Erwerbsleben teilhaben können, festhalten. Einig sind sich die verschiedenen politisch-weltanschaulichen Lager aber in einem Punkt: Alle fordern zur Bewältigung der digitalen Transformation eine entsprechend angepasste, lebenslange Aus- und Weiterbildung. Alle Menschen sollen die nötigen Digital Skills für die sich verändernden Berufsbilder entwickeln können. Bei der Frage, wer hierfür verantwortlich und durch wen das zu finanzieren sei, gehen die Meinungen wenig erstaunlich wieder auseinander.

Das Publikum verfolgte in fünf Veranstaltungen spannende Erörterungen unterschiedlicher Aspekte der Digitalisierung. Bild: © Forum Universität und Gesellschaft / Stefan Wermuth

Wer bestimmt über unsere Daten?

Daten und Algorithmen sind der Rohstoff der Digitalisierung. Hier stellt sich die Frage, ob wir künftig überhaupt noch selber über unsere Daten bestimmen können. Je nach politischem und weltanschaulichem Lager werden entweder zusätzliche staatliche Regulierungen oder aber mehr persönliche Selbstbestimmungsrechte über die eigenen Daten gefordert. Bereits sind Geschäftsmodelle auf dem Markt, welche die Freigabe persönlicher Daten mit Rabatten honorieren. Dagegen regt sich der Widerstand von Datenschützerinnen und Konsumentenschützern, welche die Selbstbestimmungsrechte über die Datenverwendung stärken wollen. Heute geben viele Nutzerinnen und Nutzer auch in ihrer Rolle als Kundinnen und Kunden ihre Daten sehr leicht preis. Dass ein beträchtliches Missbrauchspotential lauert, zeigt exemplarisch der Datenskandal der Firma Facebook, die jüngst eingestehen musste, dass Daten von rund 87 Millionen Kunden unzulässig durch das Analyse-Unternehmen Cambridge Analytica genutzt wurden. Wie weit mit spezifisch bearbeiteten Nutzerdaten demokratische Wahlkämpfe beeinflusst worden sind, ist Gegenstand von Ermittlungen.

Technologischer Totalitarismus oder digitale Demokratie?

In den Augen einiger droht uns eine «smarte» Diktatur durch Datenkraken: Multinationale Unternehmen vom Schlage von Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft seien durch staatliche Institutionen nicht mehr zu kontrollieren. Als Grauzone gelten auch die Datenaktivitäten nationaler Geheimdienstorganisationen. Mahner, die lange Zeit als «Bedenkenträger» diskreditiert wurden, gewinnen durch die zutage tretenden «Risiken und Nebenwirkungen» der fortschreitenden Digitalisierung vermehrt an Zuspruch. Nachdem die frühen Hoffnungen auf eine «Demokratisierung von unten» durch soziale Netzwerke einer gewissen Ernüchterung gewichen sind, gewinnt die Open Data respektive Open Source-Bewegung an Bedeutung: Sie plädiert dafür, dass Daten, die von staatlichen oder öffentlich-rechtlichen Institutionen erhoben wurden, der Allgemeinheit ohne Hindernisse zur Verfügung zu stellen seien. Die Online-Enzyklopädie Wikipedia gilt vielen als Musterbeispiel für gelingende digitale Demokratisierung.

Macht als Chance, lernen zu können!

Der Politikwissenschaftler Karl Deutsch definierte Macht einst subtil als «Chance, nicht Lernen zu müssen». Als Anschauungsbeispiel für ein derartiges Machtverständnis gilt einigen aktuell die Firma Facebook und das Verhalten ihres Chefs. Deutsch war überzeugt, dass ein Gesellschaftssystem sich nur dann am Leben erhalten könne, wenn es über soziale Lernkapazität verfüge. Hierzu gehörten effiziente Steuerungs- und Kontrollmechanismen sowie Selbstverantwortung. Jenem Teil der wirtschaftlichen und politischen Eliten, die im digitalen Wandel apologetisch entweder ein Heilsversprechen oder aber den bevorstehenden Weltuntergang sehen, wäre mit Deutsch zu ständiger kritischen Realitätsprüfung zu raten. Und uns allen als Userinnen und User und Bürgerinnen und Bürger zu einer fortlaufenden Selbstprüfung im Umgang mit unseren Daten. So wäre im Sinne Deutschs jenes kollektive Lernen vielleicht möglich, das dem digitalen Wandel ein menschliches, statt ein maschinelles Antlitz zu geben vermöchte.