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Yvonne Schweizer über die Ausweitung des Kunstschaffens ins Digitale. Alle Bilder: © Forum Universität und Gesellschaft / Christa Heinzer

Digitalisierung der Kunst

Das Kunstschaffen weitet sich ins Digitale aus. Digitale Kunstwerke zirkulieren auf Homepages und werden in Blogs oder sozialen Medien geteilt. Wie sich Kunstkonsum und Kunstrezeption dadurch verändern, ist eines der Forschungsinteressen von Dr. des. Yvonne Schweizer vom Institut für Kunstgeschichte der Universität Bern.

Von Sarah Beyeler

Wie definiert sich eine Ausstellung im digitalen Raum überhaupt? Schweizer schlägt vor, «dass wir es bei einer digitalen Ausstellung immer mit einer räumlichen Konstellation zu tun haben». Diese brauche nicht wie ein Ausstellungsraum im klassischen Sinne auszusehen, sondern könne sich auch auf digitale Raumvorstellungen wie das Netzwerk oder die Cloud beziehen. Dabei unterscheidet Schweizer zwei Arten digitaler Ausstellungen: Erstens die digitale Sammlungspräsentation, die einen physischen Ausstellungsraum in eine digitale Simulation übersetzt. Zweitens die online-Ausstellung, die den umgekehrten Weg verfolgt und ausschliesslich Inhalte aus digitalen Archiven präsentiert.

Haptische Anmutung digitaler Ausstellungen

Prominentes Beispiel einer digitalen Sammlungspräsentation ist das Projekt «Google Arts and Culture» (ehemals «Google Arts Project»). Hinter dem Projekt stehe das Google Cultural Institute; es gehe Google um nichts weniger als der Gründung eines weltumspannenden Kulturinstituts, das «interessanterweise dann nicht mehr in öffentlicher Hand, sondern bei einem Konzern liegt», merkte Schweizer kritisch an. Seit 2011 werden im Rahmen des Projekts Sammlungen von Kulturinstitutionen weltweit digitalisiert und damit öffentlich zugänglich gemacht. Dies ermöglicht, zu Hause vor dem Bildschirm virtuelle Rundgänge durch verschiedenste Kulturinstitutionen zu unternehmen. Dabei komme man den Kunstwerken durchaus sehr nahe: «Ich finde es höchst interessant, dass die fehlende physische Anwesenheit im Ausstellungsraum zu einer Überkompensation haptischer Erfahrung zu führen scheint. Eine solche Nahsicht könnte man im regulären Ausstellungszusammenhang gar nicht einnehmen», so Schweizer, denn Absperrungen oder Besuchermassen liessen dies meist nicht zu.
Noch stärker ins Virtuelle abtauchen kann man, indem man online-Ausstellungen «besucht», denen gar keine physische Ausstellung mehr zugrunde liegt, sondern bei denen perfekte Simulationen einen real existierenden Ausstellungsraum nur vortäuschen.

Das Internet als gestaltbarer Raum

Ein Beispiel dafür ist «The Wrong Biennale»: Ein Ausstellungsformat, das alle zwei Jahre Künstlerinnen und Künstler weltweit versammelt. In digitalen Ausstellungspavillons werde eine sehr grosse Bandbreite digitalen Kunstschaffens gezeigt – bei der jüngsten Ausgabe seien ungefähr 1'600 Kunstschaffende beteiligt gewesen, so Schweizer. Die Wrong Biennale sei auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt gewesen und die meisten Pavillons verschwanden nach Ausstellungsende vom Netz, «und dies, obwohl online ja kaum Mieten fällig werden dürften», so Schweizer.
Derartige digitalen Ausstellungen beruhten auf der Vorstellung vom Internet als einem gestaltbaren Raum, der uns an bereits bestehende Ausstellungserfahrungen im realen Leben erinnere. «Hier verbindet sich digitale und analoge Ausstellungspraxis, indem die Modi der Präsentation miteinander verschränkt werden». So habe auch die Wrong Biennale nicht ausschliesslich online stattgefunden, sondern auch mit offline-Veranstaltungen in Galerien. 

Yvonne Schweizer an der Veranstaltung «Kompatibilitätsprüfung. digitale Medien und die Kunst» des Forums.

Mit dem Smarthphone im Museum

Gerade durch den Gebrauch von Smartphones im Museum geschehe eine Auseinandersetzung mit dem Gesehenen, ist Schweizer überzeugt. Museumsbesucherinnen würden ja nicht sämtliche Werke fotografieren, sondern in aller Regel nur das, was Interesse hervorruft und zum Nachdenken und Diskutieren anstifte. «Ich glaube, dass sich fotografierende Personen im Museum in Beziehung setzen zu Kunstwerken. Sie formulieren eine Antwort, die in dem Fall nicht verbalisiert ist, sondern fotografisch ausfällt.» Das Kunstwerk in Hintergrund verkomme dabei eben gerade nicht zur reinen Kulisse, sondern sei Teil einer Auseinandersetzung, die den Museumsbesuch überdauern könne. In den sozialen Medien würden mitunter Fotos oder ganze Bildstrecken gepostet, die ein pointiertes und komplexes Bildverständnis voraussetzen würden, so Schweizer.

Kunstwerke vervielfachen ihre Reichweite

Genau mit diesem Auftauchen in unterschiedlichen realen und digitalen Kontexten spielt die Künstlerin Katja Novitzkova. Sie findet die Bildvorlagen für ihre Installationen im Internet, d.h. sie macht keine eigenen Fotografien mehr. Die Vorlagen arrangiert sie zu grossformatigen Rauminstallationen und speist die Bilder davon wieder zurück ins Internet, wo sie auf der Homepage der Künstlerin, in sozialen Netzwerken und Suchmaschinen wiederum auftauchen. «Hier wechseln Kunstwerke also permanent ihre Aggregatszustände. Sie schlüpfen mal in analoge, mal in digitale Gewänder, präsentieren sich als digitale Fotografie, dann wieder als Skulptur, nur um später als Screenshot in einer PowerPoint-Präsentation zu landen», verwies Schweizer mit einem Augenzwinkern auf die Schlussfolie ihrer Präsentation. Hier stehe die Frage nach dem Original tatsächlich auf dem Prüfstand, denn die Präsentation in einer Ausstellung werde in einem solchen Fall nicht als finalen Zeitpunkt der künstlerischen Produktion betrachtet – vielmehr träten durch das Publikum neue Bedeutungsschichten zum Kunstwerk hinzu: «Das Auftauchen in neuen Rezeptionskontexten ist stets ein weiterer relevanter Bedeutungszuwachs, der zum Kunstwerk beiträgt.» So seien Kunstwerke Ergebnis von Kommunikationsprozessen, die ihre Reichweite vervielfachen, indem ihre Rezeption immer weiterläuft. «So ist das Original nicht zu einem Ende gekommen, hat sich aber zumindest multipliziert», schloss Schweizer.